Die meisten Yoga-Stile sind zunächst mal echte Zungenbrecher: Vinyasa Flow, Hatha, Ashtanga, Bikram, Jivamukti oder Sivananda – gar nicht so einfach, diese vielen Varianten auseinanderzuhalten und auch noch zu wissen, was gut für einen ist. Esther probierte die Variante Intuitives Yoga aus und war erstaunt: viel langsamer, viel sanfter als alles, was sie bisher beim Yoga gemacht hat. Ideal, für 40-somethings, die vielleicht neu mit Yoga starten möchen oder solche, die eben nicht den viel gepriesenen Einklang von Körper und Geist bei ihrem Kurs erreichen. Weil Esther Intuitives Yoga so sehr gefallen hat, haben wir ihre Lehrerin Alke von Kruszinki gefragt, worum es dabei geht, und warum genau dieses Yoga für alle 40-somethings vielleicht das bessere ist. Hier ist Alkes Antwort:
Yoga entsteht, heißt es ja gern. Es sei denn: Man befiehlt es. Im letzteren Fall sagt der Kopf (oder ein Lehrer) dem Yoga-Praktizierenden, in welche Form er seine Gliedmaßen in welchem Tempo zu biegen und zu bewegen hat. Dieser Umgang mit der hinduistischen Lehre hat besonders bei uns im leistungsorientierten Westen sehr an Beliebtheit gewonnen. In YouTube-Videos, Yogaklassen oder den Bilderwelten auf Instagram und Co. steht dann meist ein/e junge, schlanke Yogalehrer/in als Vertreter im Zentrum des Geschehens und sagt 30, 60 oder 90 Minuten lang an, was eine Handvoll Schüler oder oft viele mehr in aller Regel beflissentlich umzusetzen versucht. Das zieht sich durch die meisten Yoga-Stile durch. Alle ins Dreieck oder in Sanskit trikonasana, alle in den herabschauenden Hund oder adho mukha svanasana, alle tiefenentspannt … ihr wisst, was ich meine.
Da sieht man dann Teilnehmer im Unterricht, die alle auf dieselbe Weise versuchen, eine bestimmte Form einzunehmen oder eine allgemein gültige Vorstellung von dieser Form zu erfüllen. Die damit also ganz engagiert versuchen, alle gleich zu sein. So kann man es machen. Muss es aber nicht. Denn Yoga – vor allem in seiner physischen Form, dem Üben von Positionen oder Asanas – kann nichts sein, was für jeden Körper und immer gleich passiert. Jeder Mensch und Geist und Körper ist schließlich einzigartig! Ohnehin sollte Yoga ja der Weg sein, der uns zum eigenen Innersten führt. Da soll es plötzlich bedeuten, dass dieses Innere eine Uniform ist!? Wohl kaum.
Zum Beispiel die Hüften: Hier sollen im Hatha Yoga spezielle Asanas das „Öffnen“ fördern, die umgangssprachlich gern „Hüftöffner“ heißen. Nun gleicht jedoch nicht eine einzige Hüfte der anderen. Wie sich der Oberschenkelknochen ins Hüftgelenk schmiegt und wie dieses ausgeformt ist, ist individuell so unterschiedlich, wie wir alle unterschiedliche Gesichter haben. Das erklärt, warum manchen Yoginis und Yogis bestimmte Bein-Hüft-Stellungen wie das Hocken oder breitbeinige Sitzen leicht fallen, andere tun sich damit selbst nach jahrelangem Üben schwer. Und es erklärt, warum auf keinen Fall alle Yogis und Yoginis jede Asana-Position gleich aussehend einnehmen können, wenn jede/r von ihnen wirklich im Einklang mit ihren oder seinen körperlichen Gegebenheiten arbeiten würde. Meine langjährige Lehrerin Liz Warrington brachte das einmal hübsch plakativ auf den Punkt: „Ich finde nichts verwirrender als der Anblick von 15, 20 Yogapraktizierenden im Raum, die alle versuchen, gleich auszusehen.“
Yoga-Stile: Manche Lehrer machen zu viel Druck
Aus meiner Erfahrung ist nur noch verstörender, wenn Lehrer ihre Schüler mit Druck und strengem Handanlegen eben dahin bringen wollen. Wenn sie unseren wertvollen Yoga-Freund, den eigenen Körper, den wir in Einklang mit uns bringen möchten, dahin manipulieren wollen, wo alle sein sollen – und wo die Körper der Übenden vielleicht noch gar nicht hinwollen. Oder hin können. Weil ihnen (noch) die Elastizität fehlt. Weil sie gesundheitliche Einschränkungen mit auf die Matte bringen. Weil sie sich verständlicher Weise ihre eigene Zeit nehmen wollen, diese Asana zu erforschen. Weil sie – ja, auch das kann ein Grund sein – tief im Gewebe gespeicherte Erlebnisse nicht oder noch nicht angehen wollen oder können.
Denn Gewebe ist viel mehr als eine Ansammlung unterschiedlichster Zell-Zusammensetzungen. Nämlich unter anderem ein ständig miteinander kommunizierendes, sehr intelligentes Gebilde. In dem sich Erlebtes manifestiert wie eine Art Gewebe-Abdruck. Chronisch steife respektive angespannte Rücken, Kiefermuskeln oder Hüften sowie Schmerzen können entsprechend auch ein Hinweis auf emotionale Baustellen sein, die wir mit uns herumschleppen.
Durch Bewegung des Gewebes und intensive Innenschau können sich diese „Stories“ ihren Weg ins Außen bahnen. Das erklärt zum Beispiel die Gefühlsausbrüche, die viele Yogis bei unterschiedlichen Yoga-Stilen schon einmal erlebt oder miterlebt haben. Ein Klassiker sind da die Rückbeugen: Weil wir uns permanent „aufrecht halten“, „grade machen“ müssen, vieles „aushalten“ müssen, spannen sich gewohnheitsmäßig und irgendwann automatisch bestimmte Teile des Rückens an. Und hindern so unsere Wirbelsäule, dieses wichtige Körperteil daran, sich frei zu bewegen.
Yoga-Stile, in denen es vorrangig um eine schnelle, sportliche Abfolge bestimmter, häufig sogar immer gleicher Bewegungsabläufe geht, übergehen all diese individuellen Gegebenheiten genauso, wie sie die vertrauensvolle Hingabe an das Eigene und die Arbeit mit Atem und Schwerkraft verhindern. Wie sollte das funktionieren, wenn sich die Muskeln anspannen und der Atem stockt, weil man sich so sehr müht. Wenn die Muskel kontrahieren, statt sich zu öffnen, weil der Unterricht stets die maximale Elastizitätsbelastung abfordert.
Yoga: Alles hängt miteinander zusammen
Der große Kommunikator Fasziengewebe zum Beispiel – und das ist in verschiedenen Zusammensetzungen ALLES im Körper, vom weichen Bindegewebe bis zu den mineralhaltigeren Knochen – reagiert deutlich langsamer, als unser Geist unseren Körper in die Stellungen dirigiert. Oder kommandiert. Es braucht Zeit, sich in die Bewegung zu entwickeln, um dort Informationen anzufragen und weiter zu geben.
Um über physische Arbeit wirklich in Kontakt mit unserem Inneren zu kommen und in Kommunikation zu treten mit dem, was unsere Körper uns über uns sagen könnten, müssen die Bewegungen also langsam und achtsam erfolgen. Im Halten und Atmen erkundet werden. Das habe ich erkannt, nachdem ich im Sivananda Yoga 7 Jahre lang zwar mit großer Hingabe und Regelmäßigkeit Yoga gelernt und geübt habe. Ich war zwar muskulös, sogar beneidenswert muskulös. Aber trotzdem weder geerdet – das weiß man, wenn man in den Balance-Übungen immer wackelt! –, noch hatte ich meine Rückenschmerzen nachhaltig in den Griff bekommen. Dann begegnete mir in Indien ein Yogastil, der alles veränderte.
Endlich fühlte sich alles anders an, richtiger. Ich lernte Geduld und Achtsamkeit als oberste Prinzipien kennen – und musste meine Vorstellung davon, was „Yoga sei“, komplett über den Haufen werfen. Oft war ich frustriert, weil ich meine Bewegungs-Codierungen aus dem Sivananda-Unterricht nicht mehr anwenden konnte, sondern bei dieser Reise zu meiner Intuition alles neu lernen musste. Aber ich wusste sofort: Das ist die Antwort. Das ist die Art, wie ich Yoga praktizieren möchte. Wenn es darum geht, mit sich selbst über Yoga in Kontakt zu kommen, kann es keine Einheitlichkeit geben – sondern nur einen sehr individuellen Weg. Ein Weg, den Vanda Scaravelli als langjährige Schülerin und persönliche Freundin von B.K.S. Iyengar fast unbemerkt von der Welt neben den sich ausdehnenden Trampelpfad des Mainstream-Yoga geschlagen hatte.
Ich habe mit den besten Lehrern weitere 7 Jahre diesen Stil praktiziert, bevor ich der Aufforderung meiner Lehrerin folgte und selbst eine Ausbildung zur Lehrerin machte. Seit inzwischen drei Jahren unterrichte ich eine kleine Gruppe Hamburgerinnen darin, den Prinzipien Vandas zu folgen, um Yoga wahrhaftig und ganz individuell zu verinnerlichen. In Deutschland unterrichtet bisher nicht einmal eine Handvoll Lehrerinnen das Intuitive Yoga – obwohl Yoga zum Hype geworden ist und man das Gefühl hat, jedes sportliche Girl mit Sinnkrise lässt sich erst tätowieren und dann zur Yogalehrerin ausbilden …
Mein Tipps an alle, die sich für Yoga und unterschiedliche Yoga-Stile interessieren und begeistern, aber mit dem, was ich hier schreibe, etwas anfangen können:
- Yoga-Stile: Sucht so lange den für euch richtigen Kurs, bis euer Innerstes ganz laut Ja sagt. Fragt euch: Wollt ihr eigentlich Sport machen – oder eine tiefe Verbindung mit euch selbst?
- Wer die sportliche Challenge sucht, ist bei Pilates oder Functional Training wesentlich besser und sicherer aufgehoben. Denn Asanas sind herausfordernd – und falsch oder gar chronisch falsch ausgeführt mittel- bis langfristig auch eine große Belastung für Gelenke und den Körper allgemein.
- Hört auf mit dem Yogatourismus, probiert nicht jeden Monat etwas Neues, das macht wenig Sinn und stört den Unterricht dort, wo ihr nur schnuppern wollt. Lasst euch und dem Unterricht eurer Wahl Zeit. Wechselt den Stil wenn, dann eventuell nach einigen Jahren, wenn euer Körper nicht mehr so jugendlich ist, wie er einmal war. Dann macht möglicherweise ein sanfterer Stil mehr Sinn und Freude.
- Überprüft alles, was euch nicht richtig vorkommt. Vertraut eurem Gefühl. Ihr werdet beim Unterricht in eine Stellung gedrückt, aber fühlt euch nicht wohl dabei? Dann sagt es, keine Scheu vor dem Yogalehrer. Der kann nicht in euren Körper schauen, ihr schon.
- Und wer hier neugierig geworden ist: In Berlin, bei mir in Hamburg und über Facebook findet ihr Adressen für Yoga mit intuitivem Ansatz und nach Vanda Scaravelli, zu deren Lehre inzwischen einige Yogaliteratur in Buchhandel oder Web verfügbar ist. Auf den Geschmack gekommen, ist natürlich ein Workshop und/oder ein schönes Retreat der konsequente nächste Schritt.
Liebe Esther, vielen lieben Dank für diesen fantastischen Artikel … mein Herz ist nur so vor Freude gehüft und hat JA, JA, JA gerufen – das ist doch das, was du möchtest, was du intuitiv oft tust und JA – darüber möchte ich mehr erfahren.
Das ich ausgerechnet an dem WE, wo der Workshop stattfindet auch noch in Hamburg (gut 500 km von mir entfernt) bin, kann kein Zufall sein. Jetzt freue ich mich mega auf diesen Workshop von Alke von Kruszynski.
Liebe Grüße und einen wunderschönen Sonntag
Grit
Liebe Grit, wie toll, dass du jetzt sogar an dem Workshop teilnehmen kannst. Das freut mich. Alke ist eine ganz besondere Yogalehrerin. Für mich war Intuitives Yoga zunächst komplett anders, weil so behutsam und langsam. Nach ein bisschen Üben dann fand ich es perfekt, um runterzukommen. Berichte doch gerne wie es war. Vielleicht magst du ja sogar auf dem Blog einen kleinen Text schreiben? Erst mal wünsche ich dir viel Spaß! Liebe Grüße, Esther