Was muss ein guter Mediziner können: zuhören, um die Ecke denken, oder einfach nur akkurat basteln? Verena erklärt, wie Ärzte ticken, und stellt die Vertrauensfrage
Wenn man glücklich verheiratet ist, noch dazu über 40, kommt es nicht mehr so häufig vor, dass fremde Männer einen am nackten Oberschenkel berühren. Und wenn doch, dann hat es nicht mehr den gleichen Kitzel wie früher.
Mein letztes Mal war vorvergangenen Winter. Ich stand ohne Hosen auf einem Plastikhocker. Der Mann trug eine grüne Haube und malte mit einem blauen Edding Kreuzchen auf der Innenseite meines Beines. Dabei konnte er sich vor lauter Begeisterung kaum einkriegen. Nicht etwa über mein schönes Bein, sondern über die Venen, die man auf dem Ultraschallmonitor sah. Weniger schön. „Schwester Kirsten, guck mal! Sämtliche Perforanten sind insuffizient!“ Und weiter: „Ououou, wenn da morgen bei der OP was schief geht!“ Irgendwann mischte ich mich in das Fachgespräch ein. Weil ich ganz gern gewusst hätte, was er mit Perforanten meinte. Mit „schief gehen“. Und vor allem mit „ououou.“ Der Herr Gefäßchirurg blickte verwirrt nach oben. Wo kam plötzlich diese Stimme her? Eine Episode, die mich zum Nachdenken brachte. Der Mann da unten war mit Sicherheit nicht der ganzheitliche Wohlfühlmediziner, von dem diskriminierte Kassenpatientinnen träumen. Aber genau der Richtige war für meine ausgeleierten Blutgefäße.
Wie Ärzte ticken, und was Patientinnen wünschen
Wie Ärzte ticken, und auch was einen guten Arzt ausmacht, kommt eben immer auf das Fachgebiet an. In manchen braucht man vor allem eines: einen begnadeten Bastler und Tüftler. Einen, der schon als Kind seine Puppen in Einzelteile zerlegt und später erfolgreich wiederbelebt hat. Nicht nur Chirurgen, auch gute Zahnärzte sind so. Meiner jedenfalls würde jede Playstation links liegen lassen für dieses schicke Programm, das zeitnah passende Keramikfüllungen zurechtschneidet. Gemeinsam starren wir fasziniert auf den Computermonitor und schweigen.
Ganz anders wünsche ich mir zum Beispiel einen Gynäkologen. Am liebsten einen, der so multi-tasking-fähig ist wie die Mutter eines Kleinkindes: gleichzeitig Blutdruck messen, einen Vortrag über das morbide Gesundheitswesen halten und mit der Arzthelferin über Urlaubspläne plaudern. Ein väterlicher Typ, der mir das Gefühl gibt, alles wäre in Ordnung. Selbst wenn es das mal nicht ist. Auch der Kinderarzt meines Vertrauens ist so einer, mit Tendenz zum Klassenclown. Für dessen Entertainer-Qualitäten harre ich klaglos zwei Stunden mit einem fiebernden Schulkind neben der Dinosaurier-Rutsche im Wartezimmer aus. Schlimmstenfalls fühlt man sich nicht ganz ernst genommen, wenn der Doktor mit einer Windel auf dem Kopf nach dem Stethoskop greift. Da lacht sogar der Zweitklässler.
Sein Gegenpart ist der Spaßbefreite. Er (oder sie) zuckt unangenehm berührt zusammen, wenn dem Patienten eine Bemerkung über das Wetter herausrutscht. Er sagt nur das absolut Unvermeidbare. Und das auf Latein. Aber auch ein solcher Mediziner kann genau der Richtige sein. Vor allem in Situationen, in denen Smalltalk ohnehin schwierig wäre. Zum Beispiel bei beginnender Vollnarkose.
Keine Experimente – oder lieber doch?
Und dann gibt es auch noch die Experimentierfreudigen. Ich sage nur: mein Hausarzt. Wenn ich von dem ein paar Nasentropfen möchte, komme ich nach Hause mit fünf Terminen für Eigenblutbehandlung, der Telefonnummer eines Homöopathen, eines Osteopathen und einer niederländischen Versandadresse für Mistelextrakt. Immer ein Abenteuer. Und häufig mit verblüffendem Erfolg.
Übrigens: Der Gefäßchirurg mit dem blauen Edding blieb gar nicht so mundfaul. Nach anderthalb Stunden OP in örtlicher Betäubung wusste ich so einiges über ihn, zum Beispiel, in welchem Sezierkurs er seine Frau kennen gelernt hat. Darf ich aber nicht verraten. Ein vergnüglicher Bastelnachmittag, ganz ohne ououou. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Mein Bein ist jedenfalls seither krampfaderfrei und schöner als je zuvor. Sagt mein Mann.