Wahrscheinlich könnten die Autorin Annika Trost und ich uns nur ganz schlecht umarmen. Sie mit ihrer 75 F Oberweite, ich mit 85 F, da ist was im Weg … Durch Zufall entdeckte ich kürzlich ihr im letzten Jahr erschienenes Buch “75 F – ein Buch über wahre Größe”. Spannend, dachte ich. Denn im Gegensatz zu den Hollywood-Ladies, deren steile Silikon-Berge ja für viel Geld gekauft wurden, sind Frauen, die die Natur mit üppiger Oberweite bestückte, oft nicht glücklich mit dieser Gabe. Und haben einiges zu erzählen. Wie würde die Autorin das schildern, hat sie ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich?
Sisters in Body? Wir könnten Busenfreundinnen werden …
Das Buch hat mich ein wenig sprachlos gemacht. Ja, der Anfang ist noch passend. Die früh wachsende Brust, der erste Besuch in der Dessousabteilung. Das habe ich ähnlich erlebt. Als 10-Jährige war ich noch eine leidenschaftliche Läuferin, die gern tobte. Mit zwölf schlich ich über den Sportplatz. “Ha, da schwabbelt die Plagge wieder”. Ich wollte im Erdboden versinken, doch das ließen die Sportlehrer nicht zu. Einen gut sitzenden Sport-BH? Den hatte ich nicht. BH-Kauf? Was war ich neidisch auf die kessen kleinen Brüste der Mitschülerinnen. In den 80er Jahren gab es “für die füllige Oberweite” schauderhafte Teile in beige oder weiß. Für Annika furchtbar. Sie fand die Kommentare der Verkäuferin schlimm, kämpfte mit dem Konzept Busenhalter, mit Haken und Ösen. So viel zu den Gemeinsamkeiten.
Denn ab da wurde das Buch für mich nur noch anstrengend zu lesen. Die arme Frau fand kaum jemanden, der ihr ins Gesicht guckte. Ununterbrochen glotzen alle in allen Lebenslagen auf ihre Möpse, für die sie freundlicherweise viele Namen findet. Steigt sie in einen Bus ein, verstummen alle und glotzen. Betritt sie eine Bar, drehen sich die Köpfen nach ihr um. Ein Busenwunder! Ständig bekommt sie Angebote für Nacktfotos, ihr ganzes Leben scheint sich um ihre Brüste zu drehen. Und genau hier hat sie mich als Leserin und Leidensgenossin verloren.
Sie ist kein anatomisches Wunder. Es gibt einige Frauen, die üppige Brüste haben. Es gibt auch Cups in G und H … Auf die Aufzählung vieler Namen für die Hupen, dicken Dinger und wie auch das Holz vor den Hütten so genannt wird, hätte ich verzichten können. Vielleicht bin ich nur neidisch. Weil ich meine Kurven als Teenager nicht so selbstbewusst präsentiert habe. Warum mich nicht alle anstarrten? Weil ich die meisten Jahre meines Lebens eher umhüllende Gewänder trug. Auf die Oberweite war ich nicht stolz, ich fand sie lange sehr schrecklich. Annika Trost schreibt, es sei nicht möglich gewesen, ihre Brust mit Kleidung zu kaschieren. Gut, sie trug Kleidergröße 36/38. Ich hatte mit 17 Hosengröße 38, Oberteile kaufte ich in 46. So konnte ich sie verstecken. Annika Trost nicht. Jeder Pullover hätte die Oberweite betont, erklärt sie. Sie entschied sich für Ausschnitte, die ließen die Brust kleiner wirken, meint sie. Sie wurde Sängerin, trug enge Korsagen, stilisierte sich zur Comic-Figur. Das war ihr Weg, aber einer der wenig für alle Frauen mit großer Oberweite spricht.
Ich bin mittlerweile Freundin meines Busens – war ein langer Weg
Mit 16 war ich beim Arzt. “Da tragen sie ja auch ordentlich Gewicht vorne mit sich herum. Das wird sicher mal operiert werden müssen, sonst haben sie später Rückenschmerzen.” Sätze, die wie ätzende Säure brennen, das Selbstbild prägen. Die sind dick, die müssen mal weg, die Brust schwabbelt. Eine gute Freundin mit ähnlicher Oberweite hat ähnliche Worte einst gehört. Die meisten Frauen mit großen Brüsten brauchten lange, um sich damit wohl zu fühlen. Eine OP? Muss nicht sein. Ein wirklich guter BH dagegen ist wichtig. Und auch ohne lauernde Fotografen konnte ich mich mit meinem Busen anfreunden, das wiederum eint die Autorin und mich. Für sie war das Stillen eine Offenbarung und das ließ auch die Brüste ein wenig schrumpfen. Darauf hatte ich ja auch gehofft. Also auf die natürliche Reduktion. Aber – äh, nee. Dafür hätte ich locker Zwillinge stillen können, aber gut, auch mich hat das Stillen mit meiner Brust versöhnt. Aber nicht nur das, insgesamt erlangte ich ein besseres Körperbewusstsein.
Ein Buch, das eher befremdet – der Busen als Freak-Show?
Ehrlich gesagt, es ist kein Neid, der mich beim Lesen befremdet. Es ist eher die eigene Reduktion auf die Oberweite. Ich hatte mir mehr von dem Buch erhofft. Wenn es so schwierig war, einen BH zu kaufen, wie fand sie dann Korsagen? Mochte sie ihre Brüste nicht doch, wenn sie so sehr in den Mittelpunkt stellte? Wahre Größe – da hätte ich gern mehr Auseinandersetzung mit gängige Mode-Idealen gelesen. Denn in den 50er- Jahren war so eine Figur modern – in den 90er Jahren waren androgyne Formen angesagt.
Ich wollte weniger darüber lesen, was für Brusttypen Männer sind, sondern lieber Gedanken, wie sehr gängige Körpernormen gerade junge Frauen verunsichern. Beim Lesen wusste ich irgendwann nicht, ob ich Annika Trost bedauern soll. Die große Brust als Signal für ständige sexuelle Bereitschaft, als ständiger Reiz? Habe ich so nicht erlebt. Mit üppigen Brüsten wird man nicht unbedingt zur Freak-Show. Vielleicht hätte sie einfach andere Frauen fragen sollen? Oder sich einen Pullover kaufen sollen, der eine Nummer größer ist?