Wieder Erster! Es ist morgens kurz vor halb neun, als ich das loftartige Büro im Hinterhaus betrete. Dritter Stock, Backsteingebäude, knarzende Dielen, grau gestrichene Säulen entlang einer Trennlinie, an der früher wohl eine Wand verlief. Zwischen verwaisten Papierstapeln und schlafenden Bildschirmen steuere ich auf meinen geräumigen Schreibtisch zu, genieße den Montmartre-artigen Blick über die Dächer rundum und werfe dann gleichzeitig Rechner und Milchschäumer an. Ein Stück outgesourctes Zuhause: Auf dem Schreibtisch hinten rechts stehen mein Old-School-Ablagekorb, mein globusförmiger Briefbeschwerer (Werbegeschenk von Reiseanbieter Studiosus 1994!), meine kleine Denkerfigur aus Griechenland und der Hängeordner-Halter mit meinen Autorenverträgen.
Schätzungsweise anderthalb Stunden noch, dann ist es vorbei mit der Morgeneinsamkeit. Dann geht ein ums andere Mal der Schlüssel im Schloss, und die Kollegen kommen: andere Journalisten und Journalistinnen, ein Filmemacher, ein Kreativ-Paar, das Unternehmen bei kommerziellen Blogs berät. Dafür bleiben die auch länger als ich, die sich spätestens um drei mit „Ich bin dann mal Mama“ verabschiedet.
Keine Chefs, keine festen Arbeitszeiten: Co-Working ist ein Traum!
Hier in diesen Räumen einer ehemaligen Druckerei in Hamburg-Ottensen geht es ein wenig zu wie in einer Redaktion, und dann auch wieder nicht. Es gibt keine Chefs, keine Arbeitszeiten, kein gemeinsames Projekt für alle und keinen Kantinenplan im Intranet. Hier ist jeder Einzelkämpfer, kommt und geht wie er will, aber mit den angenehmen sozialen Seiten, die eine Festanstellung bietet. Der Schnack in der Kaffeeküche, das gemeinsame Mittagessen im Café (oder der Bürosalat), Branchenklatsch, Flurfunk, und wenn man eine zweite Meinung zu einem Text sucht oder einen Co-Autor, ist der Weg zum nächsten Schreibtisch nicht weit. Erst seit kurzem bin ich dieser Bürogemeinschaft gelandet, weil nach der Wohnungsrenovierung nichts von meinem heimischen Arbeitszinmmer übrig blieb. Aber ich weiß jetzt schon: Diese monatliche Investition ist jeden Cent wert!
Bürogemeinschaften, Co-Working, lose Zusammenschlüsse von beruflichen Einzelkämpfern, damit liege ich – zufällig! – gerade voll im Trend. Denn das Einzelbüro und der immer gleiche Schreibtisch passen immer weniger in die Arbeitswelt von morgen. Weil wir flexibler arbeiten, häufiger projektbezogen, weil Job-Biographien vielfältiger werden und längst nicht nur in der Medienbranche dank technischer Infrastruktur das Arbeiten nicht mehr an einen bestimmten Ort gekoppelt ist. Aber weil ein Hauch von Büro-Infrastruktur eben doch auf die Dauer praktischer ist, als im Hipster-Café in den Laptop zu hacken und dabei seine Unterlagen malerisch auf dem Bistrotisch auszubreiten. Zu Zeiten der ersten Co-Working-Konferenz in Berlin 2011 schätzte man die weltweite Zahl von „Co-Working-Spaces“ weltweit auf 1300, innerhalb von sechs Jahren soll sich die Zahl verzehnfacht haben. Sogar Startups mieten sich in kommerziellen Co-Working-Spaces ein, weil’s für die Anfangsphase weniger riskant ist, als gleich mit einem eigenen Bürogebäude zu starten.
Der Schlafanzug wird nicht mehr gebraucht
Doch vor allem für Job-Solisten wie mich steigert ein solches Modell fast augenblicklich die Arbeitslust: Allen nutzt der soziale Austausch (die offline-Reaktion auf einen Witz kommt schneller als bei Facebook!), günstiger ist es auch, als sich ganz allein eine Butze inklusive Toilette und Kochplatte zu mieten. Und obwohl wir mehr denn je kommunizieren, kommen wir uns dabei weniger denn je ins Gehege – ein Vorteil der Schriftlichkeit gegenüber der Mündlichkeit. In den Neunziger Jahren habe ich mir schon mal einen winzigen Büroraum geteilt, damals mit Sabine, die später eine Karrieremesse für Best Ager mitgegründet hat. Da sprach noch keiner vom Co-Working, und das Telefon war noch das Mittel der Wahl, ob für Anfragen, Interviews oder Auftrags-Briefings. Wir mussten uns stundenweise mit Reden abwechseln, weil wir uns sonst gegenseitig zu sehr abgelenkt hätten. In meinem jetzigen Büro sitzen gleich sieben Kollegen – wenn auch nicht alle zur gleichen Zeit – , aber wenn das Telefon mal irgendwo klingelt, schrecke ich jedesmal verwundert zusammen. Weil so gut wie alles schriftlich passiert. Immerhin hat noch jeder seinen eigenen Festnetz-Anschluss – aber auch die könnte man vermutlich auf zwei oder drei reduzieren. Car Sharing war gestern, telephone sharing ist heute!
Und noch einen Vorteil hat das gemeinsame Einzelarbeiten: Endlich lohnt es sich mal wieder, was Vernünftiges anzuziehen. In den letzten 14 Jahren, in denen ich fast ausschließlich zu Hause gearbeitet habe, sah mein Tagesbeginn häufig so aus: Frühstücksgeschirr wegräumen, im Schlafanzug an den Schreibtisch, nur schnell ein paar Mails beantworten – um dann gegen Mittag festzustellen, dass ich noch immer ungeduscht herumlungerte. Immerhin meistens mit einem fertigen Text. Der Paketbote, der immer alle Sendungen für die Nachbarschaft bei mir loswerden konnte, muss sich auch gedacht haben: Was für ein geiles Leben die Alte hat, so völlig ohne störende Arbeit! Jetzt gehe ich morgens bekleidet vor die Tür, und habe nachmittags endlich mal wieder ein echtes Feierabendgefühl. Wenn dann noch meine Kinder irgendwann auf die Idee kommen, mir beim Nachhausekommen ein Heißgetränk zu servieren – dann bin ich wunschlos glücklich!