Als Miriam Willer (48) sich letztes Jahr von Vater ihrer Tochter trennte, wusste sie, was auf sie zukam: Single Mom war sie schon einmal in den frühen Neunzigern. Was hat sich seitdem geändert? Und war das Alleinsein mit Kind früher beschwerlicher – oder ist es heute auf andere Weise hart?
Miriam Willer sagt, sie braucht als nächstes ein neues Radio. Weil es manchmal zu still ist, seitdem sie nur noch zwei sind in der vertrauten Wohnung, ihre achtjährige Tochter und sie. Weil da einer weniger ist, der durch die Räume läuft, erzählt, fragt, lacht, kommentiert. Ansonsten fühlt sich das neue, alte Leben der 48jährigen Hamburgerin aber ziemlich okay an, einige Monate nach der Trennung vom Vater ihres Kindes, nach elf Jahren Beziehung. „Alleinerziehend – das ist für mich, als würde ich in ein vertrautes und durchaus auch lieb gewonnenes Leben zurückkehren“, erzählt Miriam. Single Mom war sie schon einmal: vor 25 Jahren, als junge Studentin.
Als “Single Mom reloaded” fühlt sich Miriam wieder wohl in ihrem Leben
In diesem Vierteljahrhundert hat sich das Familienbild in Deutschland dramatisch geändert. Allein- und getrennt erziehende Eltern, Patchwork- und Regenbogenkonstellationen gehören deutlich mehr zum Alltag. Zwar wächst nach wie vor die Mehrheit aller Kinder gemeinsam in einem Haushalt mit den leiblichen Eltern auf, aber bereits jedes sechste bei einem einzelnen Elternteil, davon 90 Prozent bei der Mutter. In den Neunzigern war es erst jedes neunte. Ist es heute also einfacher, das Leben mit Kind solo zu wuppen? Weniger Ausgrenzung, bessere Betreuungsmöglichkeiten? Oder wird es im Gegenteil härter – weil sich Menschen in Krisenzeiten auf konservative Werte beziehen und einen Kult um die heile Rama-Familie betreiben, der Alleinerziehende auf andere Weise diskriminiert?
Miriam zieht Bilanz: „Als mein Sohn Maxim auf die Welt kam, war ich 23, im 4. Semester, und die Beziehung zu seinem Vater hielt nicht lang. Er war meine ganz große Jugendliebe, und als ich schwanger wurde, wollte ich das Kind haben – aber eine Lebensentscheidung für diesen Mann, die war das für mich nicht. Als auch die Beziehung danach scheiterte, habe ich mich aber schon sehr allein gefühlt. Den unkomplizierten Kontakt zu anderen Frauen in der gleichen Situation, über Mamablogs und WhatsApp-Gruppen, den gab es damals ja nicht. Man wurde nicht gefragt ‚Hast du ein Netzwerk?’, sondern ‚Hast du eine Selbsthilfegruppe?’.“
Auf die hatte Miriam keine Lust, dafür fand sie ein soziales Netz – und vielleicht hielt es sogar besser als virtuelle Beziehungen in Zeiten von Social Media. Miriam zog mit ihrem Sohn ins ‚Studentinnenhaus’, wo es vor alleinerziehenden Müttern nur so wimmelte. Ein ganz normales Studenten-WG-Leben – fast jedenfalls. „Wir haben genau so über Männer und Studienfächer geredet wie alle anderen auch, nur, dass eben zusätzlich die Kinder ein Thema waren. Wollte eine von uns abends noch mal schnell in die Kino-Spätvorstellung, war immer jemand da, der auf das Baby aufpasste. Und tagsüber waren unsere Kinder alle in der Uni-Kita. Wir haben uns scherzhaft ‚Das Haus der gefallenen Mädchen’genannt, waren dabei aber immer recht selbstbewusst, sogar stolz auf unseren Sonderstatus.“ Eine Erinnerung, die ihr heute wieder hilft, seitdem sie nicht mehr in der klassischen Papa-Mama-Kind-Konstellation lebt: „Ich spüre noch genau diese Energie von damals, dieses ‚Und-auch-das-schaffe-ich-noch-Gefühl’. Wir hatten ja alle eine Menge zu stemmen, Studium, jobben, die Verantwortung für unsere Kinder. Aber das war eher sportliche Herausforderung als Grund zum Verzweifeln.“
Mehr Gelassenheit, weniger Gefühlschaos – ältere Single Moms sind gut für ihre Kinder
Aber ist das heute, 25 Jahre später, nicht deutlich anstrengender? Hat eine Frau von Ende 40 vielleicht nicht mehr die selben Kräfte wie eine Frau von Anfang 20? Ganz im Gegenteil, sagt Miriam: „Ich kann meiner Tochter besser helfen, sich in der neuen Situation zurechtzufinden, als ich es damals bei meinem Sohn konnte.” Wie das? „Als Maxim klein war, habe ich mich emotional mehr umhauen lassen – ich war einfach zu jung um zu verstehen, dass ich für uns beide stark sein muss, für uns beide gleichermaßen sorgen. Vor allem scheiternde Liebesgeschichten haben mich immer ins Chaos gestürzt, da musste ich dann dramatisch leiden, Tränen vergießen, Vorlesungen schwänzen. Meiner Tochter kann ich heute mehr Stabilität bieten. Es ist wichtig, die Scheinwerfer nach vorn zu richten.“ Das Selbstbewusstsein als Single Mom hat Miriam nicht verloren, ganz im Gegenteil. „Ich würde mir von niemandem mehr sagen lassen, dass man zu zweit keine richtige Familie ist. Selbstverständlich sind wir das!“
Was die äußeren Umstände angeht, haben es Alleinerziehenden heute in vieler Hinsicht leichter als früher. So ist in Miriams Heimatstadt Hamburg seit einigen Jahren flächendeckend eine Nachmittagsbetreuung in der Grundschule eingeführt worden, was das Arbeiten gerade für Single-Eltern sehr erleichtert. Und wo in der Nachbarschaft und in der Schulklasse viele Kinder die gleiche Familienform teilen, wird auch keines mehr zum Außenseiter, wenn es nicht mit Papa und Mama zusammenlebt. Trotzdem bleiben Ungerechtigkeiten. Das Steuerrecht zum Beispiel, das Alleinerziehende benachteiligt. Und durch die Änderung des Unterhaltsrechtes ist eine Trennung mit Kindern heute mehr denn je ein Armutsrisiko, vor allem für Frauen. Single-Mütter mit Kindern leben mehr als fünf Mal so häufig im Hartz-Vier-Bezug wie Mütter in einer Partnerschaft, so eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. Und Jobs scheitern häufig an den mangelnden Betreuungsplätzen.
Allein erziehend? Viele Väter übernehmen gerne Verantwortung
Kein Thema für Miriam – als freiberufliche PR-Expertin und Agenturinhaberin ist sie Herrin ihrer Zeit und nicht auf das Wohlwollen eines Arbeitgebers angewiesen. Ihr fällt noch etwas anderes auf, und das ist positiv. Väter lassen sich ihre Verantwortung heute nicht mehr so einfach nehmen – und Mütter fordern sie selbstverständlicher ein. „Als ich mich damals von Maxims Vater trennte und neu verliebte, habe ich meinen Ex einfach von seiner Rolle als Vater entbunden, und er hat dagegen auch nicht lange protestiert. Bei meinem Traum, mit meinem neuen Freund etwas aufzubauen, hat er nur gestört, so hart das klingt. Heute sehe ich das sehr selbstkritisch. Ich habe damals völlig unterschätzt, was die Bindung an den leiblichen Vater für Maxim hätte bedeuten können. Ich dachte, der ist noch so klein, der bekommt das gar nicht richtig mit. Erst als er vier, fünf Jahre alt war und meine nächste Beziehung in die Brüche ging, habe ich versucht, das zu kitten.“ Danach gab es dann wieder einen Kontakt zwischen Vater und Sohn. „Wir waren damals mit der Situation total überfordert. So etwas würde mir heute nicht mehr passieren”, sagt sie.
Heute, mit ihrem Noch-Ehemann, trägt Miriam das Sorgerecht gemeinsam. Drei bis vier Mal wöchentlich sind Vater und Tochter zusammen, ganz selbstverständlich hat sie in der neuen Papawohnung ein Kinderzimmer. Die Arbeitsteilung? Ganz ähnlich wie früher – zum Glück für alle. „Kinderhaben ist heute gesellschaftlich sehr anerkannt, mehr noch als früher. Die Vorstellung gehört zu einem erfüllten Leben dazu, auch für Männer.“, glaubt Miriam. Und noch etwas ist anders als damals, als sie sich von Maxims Vater trennte: Eine neue, perfekte Patchworkfamilie, die steht ganz weit hinten auf ihrer Wunschliste. „Man muss sich das Fehlende einfach anders verschaffen. Manche Freundinnen wissen, dass man mit mir jetzt abends wieder ausgehen kann. Außerdem kochen wir abends regelmäßig gemeinsam mit Freunden und Kindern und zocken Karten. Der Tag ist mir sowieso immer zu kurz, als Freiberuflerin könnte ich gut ein paar Stunden mehr gebrauchen.“ Sollte es wirklich mal zu still sein in der Wohnung, gibt es ja bald das Küchenradio. Und einen Menschen, mit dem sie heute, 25 Jahre nach ihrer ersten Erfahrung als Single Mom, deutlich besser klarkommt als damals: sie selbst.
Zum Weiterlesen: Miriam Willers Buch über ihre Lebenserfahrungen heißt „Was sich paar, das trennt sich“, zu bestellen hier