Wer zu viel plant, hat schon verloren, hat Verena nach über 45 Silvesterpartys gelernt. Und bastelt sich daraus den einzigen guten Vorsatz fürs neue Jahr
Die Überraschungsgäste waren zu viert, und sie hatten sich als Biergläser verkleidet. Um kurz vor elf am Silvesterabend polterten sie mit einem lautstarken „Moin!“ in die Wohnstube unseres Ferienhäuschens auf Föhr. Dann bauten sie sich vor unserem Fondueset auf und sangen selbstgedichtete Partylieder. Wir schwankten zwischen Amüsement (urig, diese Inselbewohner!) und Schockstarre (was bietet man vier singenden Biergläsern zum Trinken an?) Zehn Minuten später ging wieder die Tür auf, und Biene Maja und ihre Freunde summten auch noch herein. Ihre Texte drehten sich um Bienchen und Blümchen. Dabei warfen sie begehrliche Blicke auf unsere Weingläser und argwöhnische auf die lebenden Biergläser. Um fünf vor zwölf hatte mein Mann drei neue beste Kumpels. Die Frauen zeigten mir, wie man Primitivo mit Prosecco mischt („lecker, Rosé!“) , und klärten mich über einen friesischen Neujahrsbrauch auf: Immer an Silvester kommen die so genannten Kenkner mit ihren Do-it-yourself-Spottliedern und erwarten im Gegenzug zünftige Bewirtung. Es war der perfekte Jahreswechsel: nichts geplant, kaum etwas vorbereitet, jede Menge Spaß gehabt.
Am anderen Ende der Spaß-Skala steht das total vergurkte Romantik-Silvester, das ich vor vielen Jahren mit meinem damaligen Freund feiern wollte. Und bei dem zehn überteuerte Riesengarnelen umsonst ihr Leben ließen, weil wir uns schon bei der Vorspeise einen Grundsatzstreit lieferten. Ich fand, die Garnelen hätten für ihre letzte Mahlzeit einen schöneren Anblick verdient als einen unrasierten Kerl im Batik-Shirt. Er fand mich hysterisch und oberflächlich. Fazit: Tagelang geplant, Konto überzogen, im neuen Jahr getrennt.
Statt planen einfach kommen lassen – nicht nur zur Silvesterparty 2015
Was will mir die Bloggerin damit sagen?, höre ich euch grummeln. Wein auf Bier, das rat ich dir? Beim nächsten Mann wird alles anders? Nein, weit gefehlt. Was ich meine, ist: weniger planen, mehr kommen lassen. Weniger erwarten, mehr Überraschungen zulassen. Denn was für die Silvesterparty 2016 stimmt, ist auch an den restlichen 364 Tagen (oder im nächsten Jahr sogar 365!) nicht falsch: Das Leben hat immer wieder ganz hübsche Geschenke für uns bereit. Aber es macht sich einen Spaß daraus, uns an der Nase herumzuführen. Deshalb versteckt es sie meistens an Stellen, an denen wir sie nicht vermuten. Wenn wir dagegen etwas mit allen Mitteln herstellen wollen – große Gefühle und große Kulissen – , dann ziert es sich wie ein Hollywoodstar, den man nach der Nummer seines Schönheitschirurgen fragt.
Es ist wie im englischen Sprichwort: Big gifts come in small boxes – große Geschenke gibt’s in kleinen (und unscheinbaren) Schachteln. Oder, wie Weisheits-Onkel Paolo Coelho sagen würde: Um einen Schatz zu finden, mach keine Weltreise, sondern grab vor deiner eigenen Tür. Die besten Feste, die lebensverändernden Begegnungen, die überwältigenden Einsichten oder die intensivsten Gespräche – sie alle kommen selten zustande, wenn wir vorher ins Day Spa gehen, unsere Fingernägel im trendigen Korall anpinseln oder unsere Wohnung umdekorieren. Sondern eher, weil wir an einem Dienstag abend noch mal kurz den Müll rausbringen und dabei dem aufregenden Bruder unserer Nachbarin über den Weg laufen. Meinen Mann habe ich jedenfalls in einer schmuddeligen Küche kennen gelernt, die besten Ideen für Romane kommen mir meistens beim Scheuern meiner Badewanne, und meine Kinder schwärmen heute noch davon, wie sie mal im Planschbecken sitzend Abendbrot essen durften – und nicht vom letzten Theaternachmittag.
Sänger im Bierglas- und Bienenkostüm? Nur hereinspaziert!
Weniger planen, mehr passieren lassen – wenn ich einen Vorsatz für das kommende Jahr habe, dann diesen. Aber immer daran denken: Wer Überraschungsbesuch möchte, darf die Tür nicht abschließen. Nicht einmal vor Föhrer Sängern im Bierglas- und Bienenkostüm. Meine Tür jedenfalls steht weit offen. Mal sehen, was kommt.