Ab und zu braucht das Leben ein Update und ich selbst einen Anlass, mich neu zu erfinden. Der Welt anders gegenüberzutreten und zu signalisieren: Ich bin nicht mehr die, die ihr zu kennen meint. Manchmal tut’s eine neue Frisur, manchmal ein Shirt in einer Farbe, die man früher nie getragen hätte, und manchmal muss die ganze Wohnung dran glauben.
Früher, in meinem Zwanzigern, ergab sich das ganz von selbst: Weil ich spätestens alle zwei Jahre umzog, von möbliertem Zimmer über WG in die erste Ein-Zimmer-Wohnung und dann nochmal zur WG zurück, und jedes Mal aufs Neue überlegen konnte: Passt das melancholische Poster noch, das ich mir in meiner letzten Liebeskummerphase ausgesucht habe? Sind achteckige schwarze Teller paletti oder Panne? Und sollte ich die Wände vielleicht in einer gelben Wischtechnik streichen so wie in meiner Lieblingskneipe?
Renovieren und Ausmisten: ohne Umzug eine logistische Meisterleistung!
Nun bin ich schon lange nicht mehr allein, sondern als Teil einer vierköpfigen Familie mehr überbreiter Schwertransport als wendiger Kleinwagen. Da passiert nicht mehr so häufig etwas Neues in Sachen Einrichtung. Aber im Lauf der letzten Monate ging kein Weg mehr daran vorbei am Renovieren und Ausmisten. Nicht nur, weil die Wände bei genauerem Hinschauen mit allerlei kreativen Kuli-Kritzeleien in der Höhe von Kita-Kindern verziert waren und das Weiß langsam etwas angeschmuddelt. Auch weil wir Lust hatten, uns nochmal ein neues Bühnenbild für unser aktuelles Familientheater zu bauen. Wo der Flur nicht mehr in erster Linie Rennstrecke ist für Kleinkinder mit Bollerwagen, wo Garderobenhalter für Sohn und Tochter nicht mehr einen halben Meter tiefer hängen müssen als die Haken für die Großen. Eine Wohnung, in der Kinder flügge werden können und Eltern gerne bleiben.
Das ist natürlich alles leichter gesagt als getan. Denn viereinhalb vollgestellte Zimmer zu renovieren, dagegen ist jeder Umzug Pipifax. Das bedeutet: Ständig Möbel vom einen ins andere Zimmer räumen, zwischen Kistenstapeln schlafen, in manischen Anfällen von Vernichtungswahn mehr wegzuwerfen als nötig („ich kann den ganzen Quatsch nicht mehr sehen!“). Wenn man schon mal dabei ist, muss auch gleich der Kleiderschrank dran glauben. Während sammelwütige Kinder um jedes Steinchen einer lang vergessenen Sammlung kämpfen, die beim Ausmisten in einer Schublade wieder auftaucht.
Bin das ich oder kann das weg? Beim Entrümpeln über unsere Vergangenheit urteilen
Das ist wie eine Häutung, wie ein Schiedsgericht über die Vergangenheit. Muss wirklich bleiben: Partyfotos aus den Neunzigern! Dierks alte Skizzenbücher! Das Tonkrüglein aus dem Restaurant, in dem wir auf unserer ersten gemeinsamen Reise nach Venedig eingekehrt sind! Darf nun echt mal gehen: Bücher mit Titel wie „Wie werde ich eine Sexgöttin“ (hallo? ernsthaft?); Durchschlagpapier und Luftpostbriefumschläge. Jetzt, pünktlich zu Weihnachten, haben wir es fast geschafft: Kein überflüssiger Krempel mehr, keine erratische Papierstapel unter dem Schreibtisch, ein paar neue Möbel, und die Wände leuchten in unterschiedlichen Tönen. Mauve fürs Schlafzimmer, sandfarben für die Wohnzimmerwände, lindgrün der Flur, zartgelb die Küche – erstaunlich, was so ein Anstrich ausmacht.
Dabei war die Idee, es bunt zu treiben, aus der Not geboren: damit nicht so auffällt, dass nicht nur die Raufasertapeten, sondern auch die umlaufenden Stuckkanten nicht mehr so rein weiß sind wie bei unserem Einzug vor zehn Jahren. Die wollten wir nun wirklich nicht streichen, da wären wir ja in zehn Jahren noch nicht fertig. Aber das fällt überhaupt nicht auf zwischen muschelweißen Decken und mal zart, mal satt farbigen Flächen. Die im übrigen etwas sehr Meditatives haben: Ich könnte stundenlang sinnierend die Wände anstarren, wie damals in der WG-Küche. Nur, dass ich keine „Er liebt mich – er liebt mich nicht“-Gedanken mehr wälze, sondern mich daran freue, wie der Farbton sich je nach Wetter, Tageszeit und Beleuchtung verändert. Schöner als jedes melancholische Poster ist das auch.
Mann, war ich mal drauf: ein Ausblick auf die nächsten zehn Jahre
Unsere Tochter war am wagemutigsten von uns allen: Ihr neues Zimmer leuchtet in Türkisblau. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie sie in zehn Jahren zu Weihnachten nach Hause kommt von ihrem Studienort, Berlin, Bologna oder Buenos Aires, amüsiert auf ihren Aquariums-Anstrich blickt und sich sagt: Diesen schrägen Ton fand ich also in den Zehner-Jahren schön – wie gut, dass ich mich mit jedem WG-Zimmer neu erfinden kann …