Es gab eine Phase in meinem Leben, da war ich Redakteurin einer großen deutschen Frauenzeitschrift. Ich schrieb dort über Themen wie das erste Bordell für Frauen (das dann auch bald zugemacht wurde), über Exfreunde, die lange Schatten warfen oder hippe Jobs in der Dotcom-Economy (ja, es ist lange her). Es war eine schöne Zeit, ich hatte großartige Kolleginnen, nur eine war darunter, die uns das Blut in den Adern gefrieren und den Schweiß auf der Stirn perlen ließ. „Stellvertretende Chefredakteurin“ stand an ihrer Bürotür, privat hatte sie einen schönen, trockenen, norddeutschen Humor, wir mochten uns eigentlich, aber wenn es um Texte ging, verstand sie keinen Spaß. „Das versteht die Leserin nicht“, so lautete ihr pampiges Pauschal-Verdikt, egal, ob es um eine um die Ecke gedachte Überschrift, einen schlauen Witz oder ein Thema ging, das uns allen unter den Nägeln brannte. Nur ihr nicht. Erstaunlicherweise fiel das „Versteht-die-Leserin-nicht“-Fallbeil aber nie, wenn die Themen aus dem Moderessort stammten. Ein doppelseitiges Schwarzweiß-Foto, auf dem nur eine behandschuhte Hand zu sehen war, ging kritiklos durch. Sogar mit der Bildunterschrift „Rock: Armani, Preis auf Anfrage“. Nicht aber, wenn eine aus unserem Report-Ressort einen Beitrag über den Trend zu tränendrüsigen TV-Shows mit der knappen Zeile „Heul doch“ überschrieb. Erst malte sie ein Fragezeichen an den Rand, dann machte sie „Wein doch einfach“ daraus. Das verstanden wiederum wir nicht. Aber Widerspruch war zwecklos.
Klamottentrends 2017: von Glitzereis und blind verliebten Tigern
Warum ich das jetzt erzähle? Weil ich neulich, nach all den Jahren, meinen ganz privaten „Das-versteht-die-Leserin-nicht“-Moment hatte. Ach was, es war gleich eine ganze Kaskade von Momenten. Und alle während ein und desselben Stadtbummels. Dabei hatte ich mich eigentlich gefreut, mal zwei Stunden Leerlauf in der Innenstadt zu haben und den einschlägigen Shops einen Besuch abzustatten, ja, vielleicht sogar das ein oder andere Gute-Laune-Teil zu kaufen. War aber nichts mit guter Laune. Stattdessen stand ich fassungslos vor khakifarbenen Jeansblousons mit aufgenähten Stickern in Eis-, Lolli- und Donutform. Man hätte meinen sollen, ich wäre in der Kinderabteilung gelandet („Girls Größe 86 bis 128“). Hätte auch von den Size-Zero-Schnitten her gepasst. Aber nein: Mangozarahasimausi meinen das echt ernst mit den Klamottentrends 2017. Und die meinen uns, also jedenfalls erwachsene Frauen. Wohin man auch schaut: T-Shirts mit derart albernen Glitzeraufdrucken, dass dagegen Ed-Hardy-Leibchen wirken wie Existentialisten-Grundgarderobe. Dazu Plateausohlensandalen mit Aufnähern, die aussehen wie 1982, nur schlimmer. Und die ich damals, 1982, auch nur anprobiert hätte, hätte man mich mit vorgehaltener Waffe gezwungen. Genau so übrigens wie meine Tochter, kürzlich elf geworden, die neulich im Heidi-Klum-Jargon ein Teil kommentierte: „Die Bluse ist raus, die kriegt kein Foto.“ Das betrifft übrigens nicht nur Billig- und Mittelpreis-Label: Sogar in der Gucci-Liga werfen sie neuerdings mit Mustern um sich, die wirken wie schlechte Nachahmungen von Hardrock-Album-Covern aus den späten Siebzigern. Irgendwas mit Tigern und blinder Liebe.
Ich kann mir diese Li-La-Laune-Mode nur so erklären: Je kriegerischer die Zeiten und je größer die Verunsicherung, desto mehr sehnt sich die Welt nach Pippi-Langstrumpf-Outfits, extrem laut und unglaublich harmlos. Wobei ich nicht so genau weiß, was diese Teile ausdrücken sollen: So eine verdruckste Unschuldshaltung nach dem Motto: Ich bin viel zu klein zum Pussy-Grabben, also lasst mich in Ruhe, ihr großen bösen Donalds? Oder irgend eine Form von Feminismus? Den die Leserin nur leider nicht versteht? Was soll das mit den Partyhengsten auf dem Foto da oben? Oder bin ich einfach zu blöd für all das?
Warum ich im Blog immer über Mode motzen muss
Jedenfalls hatten die Macher dieser Bling-Bling-Werke offenbar keine Chefin, die ihnen ein sauertöpfisches „DvdLn“ ins Ohr gehaucht hat, ehe es zu spät war. Jetzt haben wir den Salat, und ich muss schon wieder so einen motzigen Blogbeitrag schreiben wie weiland über Culottes. Als hätte ich immer nur was zu meckern, wenn ich mal einen Klamottenladen betrete. Dabei mag ich Mode ja eigentlich ganz gerne leiden. Wenn sie nur nicht schon wieder so gemein zu mir wäre.
Da kann ich nur hoffen, dass meine buddhistischen Bekannten recht haben und die Welt letztlich immer wieder versucht, sich ins Gleichgewicht zu pendeln. Dann haben wir spätestens in vier Jahren keinen Trump mehr, und möglicherweise schon zur Sommerkollektion 2017 lauter cleane, unifarbene, erwachsen wirkende Teile in den Läden, Teile, die ich verstehen und lieben kann. So lange trage ich halt weiterhin meine Sachen von schätzungsweise 2008 bis 2016 auf. Damals immerhin war die Welt noch ein besserer Ort, zumindest ein bisschen. Auf jeden Fall: modisch gesehen.