Mode-Liebe in Zeiten der Massenproduktion: Woher kommt unsere Sehnsucht nach Einzelstücken?
Es ist zwei, drei Wochen her, da blickten mich von den Plakatwänden der Hamburger U-Bahn plötzlich Schuhe an. Riesige Schuhe. Olle Schuhe. Dabei nicht unsexy. Im Gegenteil: Die abgetragenen Sneakers auf den Fotos hatten so einen zerknitterten Sean-Connery-Charme. „Made by you“, stand neben den Motiven der neuen Converse-Werbekampagne, und ich dachte: Die haben es raus. Einfach ein paar coole Künstler mit einer Aura von Berühmtheit hinstellen, deren abgetragenen Baumwoll-Gummisohlentreter schön in Szene setzen, und fertig ist die Legende drum herum. Und ich falle natürlich glatt mal wieder darauf rein. Seit 25 Jahren.
So lange ist es nämlich her, dass ich mein erstes Paar gekauft habe, und in der Zwischenzeit hat mein Schuhregal so einige Modelle und Farben kommen und gehen sehen – obwohl mir Chucks eigentlich gar nicht stehen. Meine eher kurzen, eher stämmigen Beine in Schuhen mit komplett flachen Sohlen, das war nie ein Dream Team. Trotzdem: die Treter stehen für etwas, das jeder haben will, ob mit 20 oder 45. „Seit 1917 verkörpern unsere Sneakers Rebellion und Kreativität!“, behauptet der Hersteller dreist, und natürlich ist das ein Witz, denn: Chucks sind ein industriell hergestelltes Massenprodukt und damit etwa auf dem gleichen Rebellionsniveau wie eine Packung Tempo-Taschentücher.
Das ist aber auch gar nicht der Punkt. Sondern: Eine Kampagne wie diese steht exemplarisch für eine Sehnsucht nach etwas, das immer mehr verloren geht. Und zwar, je schneller wir von fast jedem Punkt der westlichen Welt aus fast jedes Mode-Piece, jedes Beauty-Produkt, jede Statement-Kette innerhalb von Minuten frei Haus ordern können. Nämlich die Lust an der Schatzsuche, die Begeisterung darüber, etwas Einzigartiges zu entdecken, das sonst keiner hat. Das es weder bei Zalando gibt noch bei Douglas und nicht einmal offline bei Zara.
Normalerweise sind es ja allenfalls noch Flohmärkte, die diesen Schatzsuchertrieb befriedigen – nur, dass man dort leider meistens eben doch nicht das coole Woodstock-Lederhemd von 1968 findet, sondern eher die kreischbunte Bluse von C & A anno 1987. Auch Luxuskonzerne wissen um diesen Effekt und reagieren mit künstlicher Verknappung: halten künstlich die Anzahl eines bestimmten Handtaschenmodells klein, als wär’s eine Kunst-Lithographie in limitierter Auflage. So wird ein aufklappbares Tragebehältnis zur It-Bag und Frauen zu Jägerinnen des verlorenen Schatzes.
Meine abgetragenen Chucks eignen sich jedenfalls nicht zum Plakatmotiv – die sind auch oll, aber mehr Helge Schneider als Sean Connery. Aber dafür habe ich ein, zwei Stücke, auf die ich so stolz bin, dass ich sie nie hergeben möchte. Da ist zum Beispiel mein Lieblingsparfüm Acqua di Taormina, das es nur in einer Reihe ausgewählter Parfümerien auf Sizilien gibt. Und angeblich auch noch in einem Laden in Paris und einem in Rumänien.
Oder dieses hellblau-schwarze Sixties-Teil, das ich mir Ende des letzten Jahrtausends in New York gekauft habe und auf Poetry Slams auf der Lower East Side spazieren geführt habe – war schon retro, als ich noch Twenty-Something war. Dinge, die sich einem nicht an den Hals werfen, sondern ein bisschen schwer zu kriegen sind – und deshalb einigermaßen begehrenswert. In das Kleid passe ich übrigens nur noch im Stehen und mit angehaltener Luft. Aber einmotten? Nie. Lebensgefühl, made by me. Ein echter Schatz.