Als Tanja Breukelchen ihr im Herbst im Droste Verlag erschienenes Buch „Hamburgs starke Frauen“ schrieb, stieß sie nicht nur auf mehr als 30 spannende Frauenporträts aus vier Jahrhunderten, sondern auch auf ein paar Fragen, die sich jede Frau stellen sollte. Gedanken zum Weltfrauentag.
Ein Buch über „Hamburgs starke Frauen“ sollte es werden. Ein Buch, von dem es bereits zwei Varianten für andere Orte – Düsseldorf und das Bergische Land – gibt. Eine Buch-Reihe aus dem Droste Verlag. Eine Auftragsarbeit. Schön, wenn man gerne Porträts schreibt. Nett als journalistisches Projekt. Und doch hatte ich nicht damit gerechnet, dass aus diesem einen Projekt unter vielen mit den Monaten der Recherche und des Schreibens ein Herzensprojekt wurde. Dass mir jede einzelne dieser 30 starken Frauen ans Herz wächst
Hamburgs starke Frauen: 400 Jahre Frauengeschichte
Frauen aus vier Jahrhunderten suchte ich mir heraus – von der klugen Kauffrau Glückel von Hameln im Hamburg des 17. Jahrhunderts bis zur coolen Boxerin Susi Kentikian im Hamburg von heute. Alle wichtigen Epochen deckte ich ab, mit der gefühlsbetonten Schriftstellerin Meta Klopstock in der Zeit der Aufklärung ebenso wie mit der wunderbaren Malerin Anita Rée, die sich 1933, verzweifelt über ihr Schicksal im Nationalsozialismus, mit Veronal das Leben nahm. Frauen aus allen Bereichen der Gesellschaft: Politikerinnen wie Paula Karpinski, Theologinnen wie Dorothee Sölle, Sportlerinnen wie Dorothee Vieth, Unternehmerinnen wie Heidi Oetinger oder Frauen aus den Medien wie Linda Zervakis.
Eintauchen in fremde Leben
Für die Recherche las ich die Schriften derer, die nicht mehr leben. Stand an ihren Gräbern, besuchte die Orte, an denen sie glücklich waren. Ich traf die Angehörigen, hörte ihren Erinnerungen zu. Und ich traf die Frauen aus der aktuellen Zeit. Und immer mehr zog ich Parallelen zu meinem eigenen Leben. Zu Frauen, die mir im Alltag begegnen. Immer mehr Fragen warf die Recherche auf: Nutzen wir heute eigentlich das, was Frauen früherer Generationen für uns erkämpft haben? Welche Rolle spielen dabei Herkunft, Bildung, aber auch unser Umgang mit der eigenen Geschichte, gerade wenn es um Rollenbilder, ja vor allem das Mutterbild geht? Und welchen Ballast tragen wir bis heute unbewusst mit uns herum? Was steckt uns da alles noch in den Knochen? Sind es wirklich immer die äußeren Bedingungen wie mangelnde Betreuungsplätze oder fehlende Halbtagsstellen oder männliche Ignoranz – oder liegt die größte Hürde womöglich in vielen von uns selbst?
Ballast der Vergangenheit: Was Hamburgs starke Frauen erlebten
Als die Feministin Lida Gustava Heymann lebte, da diskriminierte zum Beispiel der „Gehorsamsparagraph“ von 1900, in dem es hieß „Dem Mann steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“ die Frauen – erschreckend, dass er noch bis in den Sommer 1957 galt, also auch dann noch, als der von nur vier Frauen unter 65 Männern im Parlamentarischen Rat erkämpfte Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes deutlich betont: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.
Als ob das niemand wirklich verstehen wollte, heißt es ein Jahr, nachdem der „Gehorsamsparagraph“ abgeschafft wurde, im Vorwort des „Gleichberechtigungsgesetzes“ von 1958: „Die vornehmste Aufgabe der Frau ist es, das Herz der Familie zu sein.“ Und so bleibt es bis zur Reform des Ehe- und Familienrechts 1977.
Ein krankes Mutterbild
Parallel dazu gibt es Erziehungsratgeber wie das unsägliche Nazi-Werk Johanna Harrers „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, in ähnlicher und abgeschwächter Form, bis in die 1980er Jahre hinein. Mütter glorifizierend. Mädchen verdummend. Jungen verhärtend. – Verdammt nah ist uns das alles noch. Gerade mal eine Generation entfernt von denen, die heute Eltern sind, heute Mädchen stark machen wollen für eine Zukunft, in der hoffentlich irgendwann eine Frauenquote kein Thema mehr sein muss – weil es um Inhalte geht, um Qualität, Können und eigenes Engagement. Aber diese Zeit scheint noch immer viel weiter weg zu sein als die Gesetze und Mütter-Parolen der Vergangenheit.
Hamburgs starke Frauen und unsere eigene Realität
Die Gedanken bei der Recherche zum Buch und bei den Gesprächen mit Protagonistinnen decken sich mit der eigenen Erfahrung als Mutter einer Tochter. Da sind andere Mütter, die in Gesprächen einen üblen Beigeschmack hinterlassen. Die, die mit naivem Stolz erzählen, dass sie nicht arbeiten müssen, weil der Ehemann genug verdient. Solche, die beim Anblick unseres Bücherregals fragen, was denn mein Mann beruflich mache, wir hätten ja so viele Bücher. Und solche, die ihre kleinen Mädchen auf Schritt und Tritt posten – typisch weiblich, nur auf ihre Äußerlichkeiten bedacht. Und da sind diese dummen Kommentare und Fragen, ob der Mann das denn mit seinem Beruf vereinbaren kann, so viel Zeit mit dem Kind zu verbringen. Und ob man umgekehrt denn nicht das Gefühl habe, zu wenig Zeit zu haben – schließlich komme diese Phase als Mutter ja nie wieder. Und das, obwohl man sich sogar bewusst gegen einen Nine-to-five-Job und gegen eine ultimative Fremdbetreuung entschieden hat. Frei arbeitet, allerdings so verdammt intensiv. So gerne aus vollem Herzen. Mangelnde Solidarität unter Frauen. Frustrationskämpfe unter Müttern. Worte, die weh tun. Da bleibt jede Gelassenheit auf der Strecke. Jede Solidarität. Jede Weltoffenheit. Dabei wäre all das so wichtig.
Frauen in den Neuen Medien
Der Blick auf die Frauengeneration von heute wirft Fragen auf. Da gibt es Studien wie die der MaLisa Foundation über „Weibliche Selbstinszenierung in den Neuen Medien“, die zeigen, dass Mädchen und junge Frauen sich zum Beispiel auf YouTube oder Instagram wieder da inszenieren, wo sie schon einmal im 18. Und 19. Jahrhundert waren: im häuslichen Umfeld. Und sie zeigen sich vor allem in typisch weiblichen Klischees – Mode, Schminktipps, Äußerlichkeiten… Zugleich trifft man auf junge Frauen, die Emanzipation längst leben, die offenbar den Ballast der Vergangenheit abgeschüttelt haben. Und damit Hoffnung machen, dass die 30 Leben, die mich in den letzten Monaten so beschäftigt haben, nicht umsonst gelebt wurden oder werden. Dass diese Frauen, die mit so viel Herzblut für ihre Sache standen und stehen, Spuren hinterlassen. In meinem Buch. Und damit hoffentlich in den Köpfen und Herzen seiner Leserinnen und Leser.
Mehr über Tanja Breukelchen erfahrt ihr auf ihrer eigenen Webseite.