Gewalt gegen Frauen: Wo fängt das an? Die Weltgesundheitsorganisation beurteilt Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken, die Frauen weltweit haben. Fakt ist: Jede vierte Frau erlebt Gewalt durch ihren Beziehungspartner. Das geht von Mord bis grün-und-blau-Schlagen über subtilere Formen. Alle haben eines gemeinsam: den Anfang einer Beziehung. Hier ist ein Protokoll, wie so etwas beginnen kann.
Wie sich Gewalt gegen Frauen im Rausch der Verliebtheit einen Weg bahnt
Ich war total verknallt. Er erzählte mir, ich wäre die erste Frau, die er richtig liebte. Der Rausch startete zwei Tage, nachdem wir uns überhaupt erst kennengelernt hatten. Er war etwas jünger als ich, hatte einen Körper wie ein Fotomodell oder Leistungssportler und diese unwahrscheinlich schönen Augen. Die Momente zwischen uns waren kostbar, besonders und voller Gefühl. Fürs Erste. Dann, schon kurz darauf veränderte sich etwas.
Manipulation ist auch eine Form der Gewalt gegen Frauen
Ich sollte dies machen, jenes, nicht so laut lachen. Und eigentlich immer nur für ihn da sein. Wenn er sprach, wollte er meine Aufmerksamkeit. Die ganze. Wehe, ich schaute mal woanders hin. Dann gab es Gewitter. Ich wurde misstrauisch, versuchte zu ergründen, woran das liegen konnte. Nie zuvor in einer Beziehung benötigte mein Partner mehr Aufmerksamkeit, nie zuvor fühlte ich mich so unter Druck gesetzt – sein Verhalten wurde auffälliger. Das kleine, ungewohnt ziehende Gefühl, das in meinem Bauch auftrat, versuchte ich noch zu ignorieren, so verliebt war ich.
Erst der Streit. Und dann?
Irgendwann, ein paar Wochen später kam es zum Riesenstreit. Ich weiß nicht einmal mehr, worum es eigentlich ging. Es kann nichts Wichtiges gewesen sein. Er verließ die Wohnung, ich war ratlos, machte einfach weiter. Aufräumen, das Essen vorbereiten, ein bisschen am Rechner surfen. Dann wurde ich hungrig, nahm mir erst mal eine Scheibe Brot, weil das richtige Essen ja schon fast fertig war. Vielleicht würde er ja bald kommen und sich entschuldigen. Er kam dann auch tatsächlich kurze Zeit später. Aber nicht mit einer Entschuldigung für sein komplett irrationales und übertriebenes Verhalten, wie ich es erwartete.
Gewalt gegen Frauen: Der kurze Moment der Angst
Er kam wütend. Sein Gesicht wie aus Stein, knallharte Muskeln, Augen, die böse schauten. “Was machst du da?” Ich antwortete ihm, dass ich esse, weil ich seit zwei Stunden warten würde und hungrig wäre. Dann nahm er meinen Arm, in dessen Hand ich die Scheibe Brot festhielt, in den Stahlgriff. Es tat mir weh. Den ganzen Abend noch. Er wollte, dass ich sofort aufhörte zu essen. Ich schaute ihn an, ließ meinen Arm sinken, war zu schwach, noch etwas entgegenzusetzen, das hatte ich ja vorher schon getan.
Der Ausweg: Eine Rolle spielen und dann handeln
Danach spielte ich eine Rolle, wollte nur noch, dass diese Beziehung ein Ende findet. Ich tat, als wäre dieser Tag kein besonderer gewesen. Ich war bei ihm, nicht bei mir zu Hause in Hamburg.Wir wohnten nicht in derselben Stadt. Ließ es mir nicht anmerken, wie sehr es mich im Innersten durchgeschüttelt hat. Danach hat es noch ein bisschen gedauert, weil ich den Moment abpassen wollte, an dem er keinen Zugriff auf mich hat. Ich wollte sicher zu Hause sein, nicht in seiner Nähe.
Mir war klar: Das war erst der Anfang der Gewalt gegen mich als Frau. Beim nächsten Mal hätte er mir eine gewischt oder mir seine Faust ins Gesicht geknallt. Das wollte ich nicht erleben. Er glaubt bis heute an die vorgespielte Begründung, warum ich aus der Beziehung aussteigen wollte. Zu viel Arbeit, zu gr0ße Entfernung: Es waren Allgemeinplätze, die ich für das Ende unserer Beziehung angab. Ich wollte ihn nicht zusätzlich reizen, weil ich fürchtete, dass er dann wieder ausrasten könnte. Er flehte auch so schon, terrorisierte mich mit Nachrichten, bis ich ihn überall blockierte, schickte Blumen. Egal, ich wollte nichts riskieren.
Danach brauchte ich viel Zeit für mich. Männer wollte ich erst mal nicht kennenlernen. Wozu? Um wieder so ein perfides Spiel zu erleben? Irgendwann hat sich diese tiefe Verunsicherung gelegt. Zum Glück.
Wer solche oder schlimmere Situationen erlebt, bekommt beim Hilfetelefon eine Beratung. Diese wird in 17 Sprachen angeboten.