Mixcassetten waren gestern, heute werden höchstens Musik-Clips in unsere Facebook-Timeline gespült – mit Glück sogar gute. Warum jede Frau über 40 ihren persönlichen Henrik braucht
Es ist ein paar Jahre her, da machte eine steile These die Runde: Jede Frau braucht nicht nur einen, sondern mindestens fünf verschiedene Männer. Einen fürs Billy-Regal-zusammenbauen, einen für den Abend im Regietheater, einen zum Pferdestehlen und einen sexy Stallknecht für später, der sich nicht nur mit Deckhengsten auskennt, sondern auch – na, so etwa. So ganz überzeugt hat mich das nie. Zum einen fand ich die Behauptung immer etwas männerfeindlich – schließlich möchte man umgekehrt auch nicht im Playboy lesen, wie viele Frauen Männer zum Kochen, Akkubohrerschwingen oder Knutschen auf dem Clubklo brauchen -, zum anderen fand ich sie auch nicht besonders praktikabel. Vielleicht hatte ich einfach Glück, dass ich einen gefunden hatte, der in vielen Lebenslagen gut zu mir passte: Beim Kochen wie beim Abwaschen, tags und nachts, auf Reisen und beim Kunstbände blättern auf der Fensterbank. Auch unsere Musiksammlung wuchs symmetrisch.
Dann bekamen wir Kinder und graue Haare, ich fing an, meine Klamotten so lang zu tragen, bis sie erst out wurden und dann wieder in, und ich verlor musikalisch den Anschluss. Noch heute glaube ich nicht an die These von damals, aber ich habe dazu gelernt. Jetzt weiß ich: Keine Frau braucht mehr als einen Mann – aber (fast) jede über vierzig braucht einen extra Henrik. Wenigstens, wenn sie nicht für alle Zeiten Britpop von 1995, Wave von 1985 oder Bombastrock von 1975 hören will. Oder gar diesen Skihüttenmix aus „I will survive“ und „It’s raining men“, der schon auf Hochzeitsparty vor zehn Jahren nur funktionierte, weil es uns an unsere eigenen Kinderskikurse erinnerte.
Fakt ist: Unsere musikalischen Wechseljahre beginnen zumeist lang vor unseren körperlichen. Weil wir uns nämlich meistens schon mit Ü30 mehr für Bewerbungsvideos, vegane Vitamine oder Reformkindergärten interessieren als für die neuesten Shooting Stars der Popszene. Weil selbst auf den gleichnamigen Partys eher das beste der 70, 80er und 90er läuft als das spannendste von heute. Willkommen in der musikalischen Menopause. Ehe jetzt DJanes, Musik-Promoterinnen und Lead-Gitaristinnen einen neuen Aufschrei-Shitstorm starten: Natürlich gibt es Frauen, die eine Menge von Musik verstehen und auch jenseits der 35 total up to date sind – aber dafür deutlich mehr gleichaltrige Männer, die zwar selbst kein Blasinstrument richtig herum halten können, aber weiterhin aufmerksam verfolgen, was sich so tut jenseits des Autoradio-Mainstreams. Dieselben, die uns in den 80er Jahren Mixtapes zusammenstellten, zwischen deren Titeln wir nach versteckten Botschaften suchten. Meist völlig zu Unrecht. Was mit meinem ist? Nun, der hat sich auch ein wenig auf seinem Musikgeschmack von vor 10 Jahren zur Ruhe gesetzt, und kauft sich heute außerdem eher die fünfte Einspielung ein und derselben Bruckner-Symphonie als die CD einer neuen englischen Elektroband.
Genau hier kommt der Henrik ins Spiel: der flutet meine Facebook-Timeline nämlich regelmäßig mit Videos von obskuren a-capella-Hippie-Bands, Hörproben von Elektropop oder skandinavischen Singer-Songwriterinnen. Ein entfernter Kollege von mir, der nur unwesentlich jünger ist als ich, der aber vor allem nie seine Neugier auf neue Töne verloren hat und deshalb gut infomiert ist. Ich würde sogar behaupten, das hat mit dem Alter gar nichts zu tun: Wenn ich für meine journalistischen Aufträge einen Fotografen brauche, dann bestehe ich auf Bernd, nicht nur, weil der die besten Bilder macht, sondern weil er auf der Autofahrt immer seine neuesten Compilations dabei hat. Denn Bernd ist einer, der einfach nie aufgehört hat, auf Konzerte zu gehen oder Musikzeitschriften zu lesen, auch nicht, als er Vater wurde. Aller zehn Minuten horche ich beim Autofahren mit ihm auf und frage: Die da, wie heißen die? Am Ende des Tages haben wir nicht nur Interview und Bilder im Kasten, sondern ich auch meine aktuelle Musikeinkaufsliste. Ach so: Der Bernd ist zarte 48.
Und falls ich irgendwann nicht mehr so häufig mit Bernd unterwegs sein sollte oder Henrik mit – Gott bewahre! – die Faceboookfreundschaft kündigt, habe ich ja meinen eigenen Nachwuchsberater im Haus. Neulich beobachtete ich jedenfalls meinem Sohn Henri (6) dabei, wie er auf der Doppelseite eines Freundschaftsbuches die Frage nach seinem Musikgeschmack ausfüllte: „ALES AUSER GANGNAM STYLE!“ Wenn er so weiter macht, weiß er spätestens in zehn Jahren genau, was gut ist. Und macht Playlists für seine Freundinnen, die dann umsonst nach versteckten Botschaften suchen. Ich hoffe, ich bekomme auch eine Kopie.