1.) Meine Kinder sind endlich mal schlauer als ich. Ich gestehe, meine Fußballliebe hält sich in Grenzen. Deutschland hat 80 Millionen Nationaltrainer? Wollen wir mal nicht übertreiben: Es sind nur 79.999.999. Denn was Fußball angeht, bin ich ein Klischeeweibchen. Das Runde muss ins Eckige, Gegenpressing ist irgendwie wichtig und Viererketten kein Schmuck, sehr viel mehr verstehe ich nicht davon. Jedenfalls bis letzte Woche. Da hat Henri (7) mir in meinem zarten Alter von 46 endlich verständlich erklärt, was Abseits ist. Und dass es da einen Pfiff und eine Fahne gibt, für alle, die das im Eifer des Gefechtes nicht auf den ersten Blick erkennen – zum Beispiel für Profifußballer und für mich. Denn eine klassische Fußballmutter wird nie aus mir.
2.) Fußball ist das richtige Leben im falschen. Sportturniere finden nie im luftleeren Raum statt, das ist eine Binsenweisheit. 90 Minuten Spaß, düster eingerahmt von Terrordrohungen, Hooligan-Schlachten, und überhaupt: Ist so eine EM nicht eigentlich ein eiskaltes, zynisches Business? Ja, vielleicht ist sie das. Aber: Es macht nichts. Denn auch im Falschen gibt es echte Gefühle. Sportrechte? Ein fieses Geldgeschäft. Der Augenblick, in dem Schweini beim Nachspielzeittor alles aus dem Gesicht fällt vor ungläubiger Freude? Unbezahlbar. Und auch das Gefühl, dass mal irgend etwas auf der Welt geschieht, dass klaren Regeln und einem berechenbaren Zeitplan folgt, ist derzeit ganz schön tröstlich.
Fußballliebe: Sie zieht sich auch bei Nicht-Fans durchs ganze Leben
3.) Wir lernen unsere Freunde von einer ganz anderen Seite kennen. Politische Einstellung? Einrichtungsgeschmack? Erziehungsstil? Sind alle zwei Jahre lang mal wieder für vier Wochen völlig unwichtig. Denn auf einmal gibt es nur noch Fans und Nicht-Fans. Bekannte, von denen man es nie gedacht hätte, entpuppen sich plötzlich als Stadion-Dauerkartenbesitzer. Paare üben den Rollentausch: Sie jeden Abend auf der Fanmeile, er vergisst zu Hause den Fernseher einzuschalten. Feingeistige Kulturjournalistenkollegen versorgen mich auf Facebook mit dem nötigen Angebervokabular. Fußball ist immer für eine Überraschung gut, und dahinter steht nicht immer ein Boateng.
4.) Fußball ist die Messlatte des Lebens. Italien-Deutschland 1982? Ja, klar: Das war doch damals, als ich mit Mutti in einem griechischen Ferienhotel im falschen Fanblock saß und wir nicht wagten, für Kallz, Hrubesch & Co. zu applaudieren. Mexiko 1986? Hach, diese heimlichen Rauchpausen auf dem Balkon (er hieß Marc, den Nachnamen hab ich vergessen). WM-Sieg 1990? Huh – damals war ich mit meiner rotgrünen Sozialisation plötzlich die einzige in meinem Freundeskreis, die sich angesichts des Großaufgebotes von Deutschlandflaggen auf der Münchner Leopoldstraße gar nicht wohlfühlte. Und das Sommermärchen 2006? Ach, Baby Helen im Tragetuch und die vielen Kinder mit den schwarzrotgoldenen Hawaiiketten, damals gerade ganz neu. Und so gefiel mir auch diese Farbkombi viel besser als 1990 (von wegen: “auf Jahre unbesiegbar”). WM- und EM-Spiele wie Erinnerungsanker für das eigenen Leben. Mehr noch als Weihnachten, Ostern oder Sommerferien.
5.) Torfieber? Die schönste Form der Globalisierung. 1996 stieg ich für eine Reisereportage an einem Provinzflughafen in Südostasien um. Der malaysische Zollbeamte sah meinen deutschen Pass und begrüßte mich mit den Worten „How is Klinsmann’s foot?“ Kein Witz: In Kota Kinabalu erfuhr ich von der Fußverletzung eines wichtigen EM-Nationalspielers aus einer schwäbischen Bäckereifamilie und schämte mich ein bisschen. Es ist ein Klischee, aber ein wahres: Dieses Spiel verbindet, sogar die EM interessiert über Kontinente hinweg. Der Hamburger Verein Welcome Dinner findet das übrigens auch: Wer Lust hat, Flüchtlinge zum gemeinsamen Spieleschauen einzuladen, kann sich dort melden – da ist dann auch die Sprachbarriere kein Problem.