Zuerst passiert alles ganz langsam. Ein Schweben im Zeitlupentempo, ein langsames Sortieren, Drehen, Einfügen, bis alles passt. Doch allmählich steigert sich das Tempo: immer schneller die Stürze, immer weniger Zeit, immer größer die Lücken im Muster, und ganz am Ende verkündet ein Sirenenton: Game over and out. Nein: Ich rede nicht von Tetris, diesem legendären Simpel-Computerspiel, mit dem ich mich in den Neunzigern zwischen zwei Kapiteln Diplomarbeit entspannt habe. Ich rede vom Versuch, in den vier bis sechs Wochen vor Jahresende eine einigermaßen harmonische Feiertagsplanung zu basteln, mit der alle Beteiligten glücklich sind. Also: Partner, Kinder, eigene Eltern, Freunde, Freunde der Kinder und gegebenenfalls auch noch die Haustiere. Geht nicht? Passt nicht? Genau das befürchte ich allmählich auch.
Feiertagsplanung 2017: wenigstens Weihnachten darf sein wie immer
Dabei habe ich’s schon verdammt gut, weil wenigstens Heiligabend so unproblematisch ist. Weil wir eine vergleichsweise große Wohnung haben, den Baum und die Kinder, und weil deren Großmütter – halleluja! – beide ganz in der Nähe wohnen, entfällt bei uns jeglicher Reisestress. Kein Kofferpacken zwischen zwei Strophen Stille Nacht, weil man am ersten Feiertag zu Oma Lübeck und am zweiten zu Oma Lörrach fahren muss. Keine eifersüchtigen Fragen danach, wer wann wo mit wem welche Gans füllt (und mit was).
Andere Familien legen, was das hingeht, einen wahren Diplomaten-Spagat hin: verbringen die Feiertage auf der A 7, weil sie niemanden enttäuschen wollen, und feiern dafür am 23. Dezember mit Kindern zu Hause vor, damit die auch mal sehen, wie sich ein Baum im eigenen Wohnzimmer macht. Speisen am ersten Feiertag Tofu-Bratling bei der Patentante und am zweiten Sauberbraten bei Opa, auch wenn sie beides gleich wenig mögen. Singles geht’s übrigens auch nicht immer besser: Statt sich mit den liebsten Wahlverwandtschaften und ein paar guten Flaschen Rotwein einen auf die Glocke zu geben, wird auch von 40-somethings häufig noch erwartet, dass sie bei Mama und Papa feiern – auch wenn man sich an den restlichen 364 Tagen des Jahres eher aus dem Weg geht. Das alles müssen wir nicht, dafür haben wir statt des Weihnachts-Tetris etwas anderes: Silvester-Tetris.
Ein Traum: Fondue mit Jens und Gabi
Was das angeht, sind wir nämlich auch anders als andere Familien. Die schaffen es scheinbar alle, klammheimlich irgendwann eine Tradition zu erschaffen, die ihnen für die nächsten 40 Jahre sämtliche Planungsfragen abnimmt. „Silvester geht nicht, da essen wir immer mit Jens und Gabi Fondue“, heißt es dann auf Nachfrage, und da reinzugrätschen wäre etwa so ungehörig, als würde man vorschlagen, Kate und William sollten doch mal zur Jahreswende getrennt auf Single-Reise gehen, statt gemeinsam im Buckingham Palace Wunderkerzen abzufackeln. Wir haben viele Freunde, aber irgendwie haben wir was verpasst, denn Jens und Gabi, das sind immer die anderen.
Also wursteln wir uns Jahr für Jahr durch und wissen meistens bis drei Tage vor Silvester nicht so richtig, wo und bei wem wir landen. Was nicht so schlimm wäre, wären unsere Kinder nicht mittlerweile in einem Alter, in dem sie ab Oktober abwechselnd ernste Mahnungen in unsere Richtung ausstoßen à la „Mir ist ganz egal, wie wir feiern, Hauptsache, alle meine Freunde sind dabei. Und es gibt mein Lieblingsessen.“ Was schon rein mathematisch ein Ding der Unmöglichkeit ist, denn: Die Suchfunktion nach netten Partygenossen, die ebenso gut mit uns befreundet sind wie ihr jeweiliger Nachwuchs mit unserem jeweiligen Kind, gibt nicht sonderlich viel her. Wir haben also nur die Wahl, entweder unsere Tochter zu frustrieren oder unseren Sohn, oder Silvester mit Erwachsenen zu verbringen, mit denen man bisher allenfalls einen Satz wie: „Kannst du mal den Klausurenplan der 6c abfotografieren und per WhatsApp schicken?“ gewechselt hat. Die Essensfrage will ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Da würde man bald lieber freiwillig allein feiern.
Rezepte gegen den Planungsstress? Egoismus plus Abwarten
Ich glaube, gegen den Planungsstress gibt es nur zwei Rezepte. Erstens: Ganz oben auf die Gute-Vorsätze-Liste einen Merksatz wie „Ich kann und will es nicht mehr allen recht machen“ schreiben. Und 2018 zur Abwechslung auch mal beherzigen. Zweitens: Geduld haben. Noch ein paar Jahre, dann erledigt sich das Problem von allein, weil unsere Kinder lieber mit ihren jeweiligen Freunden über den Kiez ziehen als im Kinderzimmer Kartoffelchips zu futtern. Vielleicht finden wir im Zuge dieser Umschichtung auch noch mal einen Jens und eine Gabi. Wenn nicht, dann sind wir uns auch selbst genug, machen einen Crémant auf und feiern eine wilde Party zu zweit. Denn zwei wohlbekannte Formen zusammenzupuzzeln – dieses Tetris-Level schaffen wir wohl auch noch als 50-somethings.