Die Tage werden kalt und dunkel. Also höchste Zeit, ein paar Sonnenstrahlen zu sammeln. Oder verzauberte Momente, die dafür sorgen, dass das Herz warm wird. Manchmal reichen wenige Stunden. Eine ganz kurze Reise in die Hauptstadt an der Spree hat gerade meine Kraftreserven gefüllt.
Ein wenig neblig präsentierte sich Berlin. Ich war eingeladen zu einer Zirkusveranstaltung. Und zwar in eine schwedische. Stilecht logierte ich im Hotel Scandic am Potsdamer Platz. Am Eingang des noch jungen Hauses der schwedischen Kette begrüßte mich Elch Lasse und das Zimmer zeigte sich jahreszeitengerecht im herbstlichen Ambiente. Ideal zum Einkuscheln.
Aber vorher fuhr ich ins Chamäleon Theater. Dort, in einem ehemaligen Ballsaal in den Hackeschen Höfen, gastiert der Cirkus Cirkör mit dem Stück “Underart”. Diese neue Art des Zirkus ist nah dran am Varieté. Aber es sind keine einzelnen tänzerischen oder akrobatischen Leistungen, die die siebenköpfige Gruppe zeigt: Es ist eine Geschichte, die erzählt wird. Nicht mit vielen Worten, sondern mit Musik, Tanz und einer faszinierenden Choreographie.
Neuer Cirkus: Musik, Akrobatik und die Magie des Moments
Es sind die Klangwelten, die mich sofort versinken lassen. Ich träume und muss sehen, wie Menschen fallen. Scheitern. Paare ringen um ihre Liebe, es geht um Brüche. Aber auch um das Wiederaufstehen nach einem tiefen Fall. Eine Ode an die Bruchlandung wird gefeiert. “Underart” zeigt, wie wichtig das Aufgefangenwerden nach einem Fall ist, wie innige Freundschaft Lebensenergie gibt. Das Leben als Balanceakt, voller unvorhersehbarer Ereignisse und dem großartigen Gefühl, den eigenen Weg zu finden.
Regisseur Olle Strandberg wurde von seinem eigenen schweren Unfall zu dem Stück inspiriert. Nach einem verunglückten dreifachen Salto war er vom Hals abwärts gelähmt. Heute ist er wieder vollständig gesund. Und sieht den Absturz auch als Chance.
Kraft aus Tiefschlägen gewinnen, das lässt mich wirklich Innehalten an diesem Abend. Das Duo “Ripple & Murmur” hat die Musik für das Stück komponiert. Zart und doch kraftvoll, ein Mischung aus Ethno-Klangwelten, Indiepop und Jazz, die durch Anna Ahnlunds glasklare Stimme geprägt wird.
Scheitern und Wiederaufstehen macht Mut
Der neue Zirkus braucht keine Tiere, keine Clowns. Er fasziniert durch ungewohnte Akrobatik, Klänge und lässt mich als Zuschauerin träumen. Von Möwen, die ich während des Stückes plötzlich höre. Und immer wieder halte ich auch die Luft an, weil die Künstler mit scheinbarer Leichtigkeit durch die Luft fliegen, balancieren und zu schweben scheinen.
Nach der Vorstellung schwebe auch ich. Durch ein nächtliches Berlin, das nun im dämmerigen Licht zeitlos schön aussieht. Scheitern ist ja auch für mich gerade ein Thema. Aber eben auch das Aufstehen. Es ist anstrengend. Dieses poetische Stück macht mir Mut. Es geht weiter. Anders, aber auch schön. Passt ja irgendwie auch sehr gut zu Berlin. Was hat sich diese Stadt in den letzten 26 Jahren verändert.
Daran denke ich dann am nächsten Morgen, als ich vor dem “Berliner Ensemble” stehe, wo ich 1990 ehrfürchtig die “Drei-Groschen-Oper” von Brecht in der vierten Reihe sah. Theater verändert sich, Orte verändern sich. Haifische haben immer noch Zähne. Aber in Goldfischgläsern tauchen mittlerweile auch Artisten.
UNDERART – Ode to a Crash Landing from CHAMÄLEON Theater Berlin GmbH on Vimeo.
* Vielen Dank an die Chamäleon Theater AG, Hotel Scandic Potsdamer Platz und Feinkost Käfer für die Einladung.
liebe silke,
was für ein berührender text. ich bin gerade selbst ein bissl verzaubert!
alles liebe aus wien
sabine
Liebe Sabine,
ich danke dir! Und Grüße ganz herzlich vom herbstlichen Hamburg nach Wien,
alles Liebe
Silke