Ich bin ein Küstenkind. Wer hier öfter reinliest, weiß das. Meine Heimatstadt ist Kiel an der plätscherigen Ostsee, die ohne Badeverbote auskommt. Aber immerhin gilt das gemächliche Gewässer als echtes Meer. Und genau das brauche ich. Regelmäßig. Nach diesem Winter fehlte mir das Wasser besonders: Sonne, Wind und Wellen. Wie so oft buchte ich kurzentschlossen. Diesmal lautete das Ziel Indien. Da wollte ich immer schon mal hin. Wärme, ein neues Land, das ich noch nicht bereist habe und eine Ayurvedakur. Das fühlte sich perfekt an. Klar, dass meine Wahl immer auf Hotels und Ressorts fällt, die unmittelbar in Strandnähe sind. Am ersten Tag schaue ich wie hypnotisiert immer wieder auf das Wasser. Das Ressort Nikki’s Nest liegt etwas auf dem Hang mit einem unglaublichen Blick auf die Bucht. Freude, Freude, Freude überfällt mich nach dem anstrengenden 14-Stunden-Flug, als ich morgens ankomme.
Wie das so ist bei Ayurvedakuren, geht es am ersten Tag auch gleich los. Zwei Stunden Massage und ein Gespräch mit dem Ayurveda-Arzt. Da dies hier nicht meine erste, sondern schon meine dritte Wellnessreise dieser Art ist, weiß ich, was kommt. Täglich mindestens zwei Stunden göttliche Massagen sollen meine Schreibermuskulatur lockern und mich insgesamt in einen schön entspannten Om-Modus bringen. Tägliche Spaziergänge am Strand, morgens Yoga und eine vegetarische Ayurvedakost (dazu folgt noch ein gesonderter Post mit drei Rezepten, die ihr euch keinesfalls entgehen lassen solltet!) kommen noch hinzu. Nach einem hammerharten Winter, viel Arbeit und einem dramatischen Vitamin-D-Mangel könnte ich vor Freude schreien. Den ganzen ersten Tag lang. Baden klappt am ersten Tag leider nicht, weil ich nach dem Flug erst mal ein paar der verpassten Schlaf-Stunden nachholen musste. Am nächsten Morgen beginne ich gleich mit meinem Lieblings-Ayurvedakur-Ritual: Ich stehe krachfrüh um 5.30 Uhr auf und rüste mich für den Strand. Mit Strandkleidchen, Leggings und einem Tuch, das die Schultern bedeckt, verhalte ich mich so, wie es in der Hotelbroschüre empfohlen wird. Die Fischer hier leben traditionell. Leichtbekleidete Touristinnen, die zu viel Haut zeigen, gehören da nicht hin.
Alles strahlt bunt, die Fischer, die Netze, die einfachen Holzboote, mit denen sie die ganze Nacht draußen waren. Und dieses Meer, mal plätschert es leicht vor sich hin, mal brausen die Wellen heran. So sehr, dass die Boote teilweise mit einem Trecker oder mit mehreren Männern gemeinsam an Land gezogen werden.
Glücklich voller Eindrücke gehe ich zum Frühstück. Wie toll. Direkt nach der Anwendung werde ich schwimmen gehen. Nachmittags schlendere ich wieder runter zum Strand. Und freue mich. Für Liegen, Handtücher und Sonnenschirm sorgen Sagi und Chikku. Zwei wirklich nette, entspannte Typen.
Zack, kurz rauf auf die Liege und ich rüste mich für meine erste Schwimmrunde. Denke ich. Und dann weht da die rote Flagge am Strand. “Keine Chance, Baden ist unmöglich”, erklärt mir Sagi. “Bitte, was?”, frage ich ihn. Okay, dann muss ich wohl bis morgen warten, denke ich und schmolle. Ein Küstenkind am Wasser, und dann gibt es ein Badeverbot. Was sind denn das für Hindu-Götter, die mir gerade in die Quere kommen? Grrr.
Badeverbot in Kerala: Wenn ein Meer irre sein kann, dann ist es das hier
Ich schaue mir die Wellen noch mal genauer an. Zehn Minuten spielt das Meer den heimlichen Verführer. Wellen, so groß wie ich selbst, reizen mich geradezu dort hineinzuspringen und durchzutauchen. Ich bin eine gute Schwimmerin, halte locker eine Stunde durch und fürchte mich selten. Aber als ich sehe, wie sich die gerade eben noch etwa 1,50 Meter hohe Wellen mit einem Mal auf drei Meter anwachsen und aus allen Richtungen übereinander zusammenbrechen, siegt die Vernunft. Badeverbot. Okay.
Nach vier Tagen strahlt mich Sagi an. “Heute geht es!” Das wollte ich hören. Ich schmeiße mein Strandkleid auf die Liege, zupfe sicherheitshalber das Haargummi raus, das will ich nicht verlieren (ich weiß ja inzwischen, dass das Meer sich hier verhält, wie ein launischer Geliebter) und springe rein. “Stop!”, ruft Sagi. Erst mal werden hier Sicherheitszeichen ausgemacht. Er bleibt die ganze Zeit am Strand stehen, beobachtet mich. Wenn ich raus will, soll ich den rechten Arm heben. Und dann springe ich rein. Wie herrlich warm das Wasser ist. Ich tippe auf Ende zwanzig Grad Celsius. Ich will mehr Meer.
Dann pfeift Sagi mich an und winkt nach rechts. Oha, ich bin meterweit abgetrieben. Die verrückten Wellen hier zerren an meinem ganzen Körper. Das ist nicht eine Strömung. Das sind fünf. Eine reißt meine Füße nach links, der ganze Körper biegt sich, dann kriege ich Schlagseite, weil noch eine andere Strömung an mir zieht. Was ist denn hier los? So ein verrücktes Wasser habe ich noch nirgends erlebt. Ich hebe den rechten Arm. Ich bin zwar erst zehn Minuten geschwommen, aber das hier macht mich fertig. Sagi winkt mich raus, signalisiert, dass ich Gas geben soll. Ich kämpfe mich durch die Wellenlinie, noch kein Sand unter den Füßen, der Strom stemmt sich gegen mich und ich komme kaum voran. Wow, die letzten Meter fühlen sich wie ein Sprint an. Mir fehlt der Atem, ich keuche und werde dennoch von Glückshormonen geflutet. Ich habe es geschafft, ich war im Meer.
Hohe Brecher und unberechenbare Strömungen: im Mai gar nicht so selten
Mittlerweile fand ich auch die Zeit, mir den Reiseführer mal genauer anzuschauen. Joa. Da steht es irgendwo. Im Mai, kurz vorm Monsun, dreht das Meer hier richtig auf. Pech nur, dass ich das nicht vor der Buchung gesehen habe.
PS: Insgesamt konnte ich an fünf von fünfzehn Tagen baden. Allerdings immer bei Badeverbot und unter Aufsicht von Sagi.