Ich brauche Bücher in jeder Jahreszeit. Im Sommer? Da darf die Lektüre gern auch mal ein wenig leichter sein, schwere Wälzer füllen den Koffer zu schnell. Im Sommer lese ich gern draußen, auf Reisen, oder wenn sich die Sonne sich noch lange hält und ich auf dem Balkon sitze. Welche Bücher passen dazu? Zum Beispiel diese drei sehr unterschiedlichen. Es geht es ein wenig um den Zauber des Sommers, ums Reisen, Suchen, Mut, Verdrängen, Erinnern und natürlich auch um Liebe.
Sommerbücher 2017: Lieben im Augenblick
Marie Velden: Sommer in Sepia, dtv, 9, 99 Euro
Michael Jackson ist tot. Thomas Bachmann, 43, Familienvater und Psychotherapeut war nie Fan. Und doch erschüttert ihn die Nachricht aus dem Radio mit einer ungeahnten Wucht. Er fragt sich, was aus seinen Träumen geworden ist. Als er der alleinerziehenden Florentine begegnet, beginnt sich sein Schutzpanzer zu lösen. Zu lange lebt er in einer unglücklichen Ehe, hat seine eigenen Wünsche verdrängt. Und Florentine? Die ehemalige Journalistin hat einen Blumenladen eröffnet und sich nach dem Verlust ihrer großen Liebe immer mehr von Menschen zurückgezogen. Sie funktioniert. Aber sie fühlt sich nicht lebendig, kann ihre tiefe Trauer kaum ablegen. Die ersten Begegnungen der beiden sind Zufälle, doch dann sucht Thomas bewusst Florentines Nähe. Doch so schnell werden die beiden kein Paar. Florentine muss einen Tod verarbeiten, auch ein enger Freund von Thomas stirbt. Er verabschiedet ihn gemeinsam mit der ehemaligen Clique auf einer griechischen Insel. Und spürt immer mehr seine Sehnsucht. Nach einem anderen Leben. Thomas und Florentine kommen sie sich näher, zart und für beide unerwartet genießen sie gemeinsame Augenblicke, entdecken sich und das Leben wieder.
So ähnlich, wie man nach einem Tag am Meer noch das Salz auf der Haut spürt, bleiben die skurrilen Momente und sinnlichen Schilderungen auch noch, wenn das Buch schon zu Ende gelesen ist. Die zarte poetische Sprache von Marie Velden wirkt nach. Und auch die Geschichte einer Liebe von 40-somethings, die es schaffen, die Vergangenheit zu akzeptieren und Augenblicke des Glücks als Geschenk anzunehmen.
Sommerbücher 2017: Gegenwart und Vergangenheit
Katharina Herzog: Immer wieder Sommer, rowohlt polaris, 12, 99 Euro
Anna hat einen Plan. Sie will ihre Jugendliebe wieder treffen. Sie mietet einen Bus und will Jan überraschen, den sie zuletzt vor fast zwanzig Jahren gesehen hat. Doch die geschiedene zweifache Mutter rechnet nicht mit ihrer Familie: der pubertierenden Tochter, dem Sohn, ihrem Ex-Mann Max und vor allem nicht mir ihrer Mutter. Nach ebenfalls fast zwei Jahrzehnten meldet sich ihre Mutter Frieda unerwartet bei Anna. Ihre Single-Reise wird zum Roadtrip mit viel Ballast an Bord. Denn die ganze Familie, und auch noch ein Anhalter, laden sich zu Anna in den Bus ein. Vergangenheitsbewältigung bleibt da nicht aus. Warum zerbrach die Ehe von Anna und Max? Wieso sucht Frieda wieder die Nähe zu ihrer Tochter? Als Anna mit ihrem Anhang schließlich auf der Insel Amrum ankommt, trifft sie auf Jan, küsst zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder, muss Konflikte mit ihrer Tochter und ihrer Mutter bewältigen und findet schließlich das, was sie gesucht hat: die Liebe.
Ein Buch, das irgendwie genau zum Badesee oder an den Strand passt: kurzweilig zu lesen, ziemlich turbulent, meist sehr komisch wie ein Road-Movie. Vielleicht kein literarisches Meisterwerk, aber ein schöner Schmöker, der Spaß macht.
Sommerbücher 2017: Die Macht der Erinnerung
Monika Held: Sommerkind, eichborn, 20 Euro
Hat ihre Kindheit eine Farbe? Diese Frage stellt Ragna den Menschen, die sie interviewt. Die 40-Jährige arbeitet an einem Projekt, in dem es darum geht, wie sehr die ersten Erinnerungen prägen. Als sich ihr Partner von Ragna trennt, reist sie selbst an den Ort ihrer Kindheit und entdeckt dort an der Nordsee Bilder im Kopf, die zu keinem bewussten Moment passen. Warum erinnert sie sich an einen Jungen auf einer Bank? Was ist das für ein Kleiderbündel neben ihm? Parallel wird die Geschichte von Kolja erzählt, dem Jungen der seine Schwester täglich in der Klinik besucht. Seine Schwester Malu ist das “Sommerkind”, das Mädchen, das nach einem Badeunfall im Wachkoma liegt. Wie passen diese beiden Geschichten zusammen? Wie sehr prägt ein traumatisches Erlebnis das Leben zweier Menschen? Ragna setzt nach die Puzzlestücke ihrer Erinnerung zusammen und stellt sich schließlich den eigenen Erinnerung und auch Kolja, den sie vergessen und doch mal so geliebt hat.
Der Roman von Monika Held fasziniert mit feinen Beobachtungen und einer klaren Sprache. Wie sehr täuschen uns Erinnerungen? Was ist echt, was verdrängen wir? Der Mut sich der Vergangenheit zu stellen, die Schilderung, wie sehr nur ein kleiner Moment Leben verändert, ist beeindruckend dicht und gewaltig. Klar, direkt, traurig und an anderen Stellen sehr komisch. All das, was ein wirklich gutes Buch ausmacht.