Lässig steht er barfuß auf dem neuen Parkett – langsam, ganz langsam zieht er an der Zigarette. Es knistert im Mikrofon. Und auch im Saal. Darf der das? Rauchen in der nigelnagelneuen Elbphilharmonie? Weil es zu Kunst gehört, darf Sänger Blixa Bargeld das. Und irgendwie passt das zu diesem Konzert. Es ist einfach alles anders bei diesem ersten nicht-klassischen Konzert im Rahmen des Eröffnungsfestivals. Der Neubau wird mit den “Einstürzenden Neubauten” eröffnet. Ausgerechnet. Wunderbare Selbstironie.
Die “Bauten” im Kolossalbau. Schon die Vorankündigung fand ich sehr lustig und machte gelegentlich spitze Bemerkungen dazu. Womit ich nicht gerechnet hatte: Ich durfte dabei sein. Und das verdanke ich meiner Freundin Ewa und einer besonderen Geschichte. Ewa war wie ich in den 90ern ein 20-something. Damals, als auf Partys noch CDs gespielt wurden, brachte sie eine Scheibe der “Einstürzenden Neubauten” mit. Sie erinnert sich: “Ich war gar kein riesiger Fan. Auf solchen Feiern brachte jeder Musik mit. Und ich eben auch meine neue CD. Und dann war sie weg.” Schon damals war die Band rund um Frontmann Blixa Bargeld längst vom szenigen Geheimtipp zur etablierten Avantgarde geworden. Musik, die man hörte, wenn man schwarze Kleidung trug und gegen das Establishment war. Aufgelegt, wenn auf Feten nicht mehr Tanzen, sondern eher sphärische Klänge angesagt waren. Klänge, bei denen Kopfkino losgeht. Ein Kopfkino, das Ewa jedenfalls vergessen ließ. Die CD nämlich.
Die Geschichte zur den Konzertkarten der Einstürzenden Neubauten
Bis sie Mitte Januar 2017 eine Mail von ihrem ehemaligen Freund bekam: “Erinnerst du dich noch an damals? Vor 26 Jahren habe ich deine CD von den ‘Einstürzenden Neubauten’ mitgenommen. Nun möchte ich mich für diese Dauerleihgabe bedanken. Am Eröffnungskonzert am 21. Januar kann ich leider meine Abokarten nicht nutzen. Und darum möchte ich dir und einer Begleitung zwei Karten zukommen lassen.” Ewas Begleitung? Das war ich. Wir kannten uns bisher nur über Facebook – und dort über die Organisation der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe. Also sie auf FB fragte, wer mitkommen wolle, meldete ich mich sofort. “Was für ein tolles Geschenk. Alte Erinnerungen, eine neue Begegnung, die wir uns ja schon lange gewünscht haben und nun noch das Konzert”, sagte Ewa lachend. Wir beide waren vom prächtigen futuristischen Bau der Elbphilharmonie sehr begeistert. Startrek meets Guggenheim-Museum.
Für die “Einstürzdenden Neubauten” gab es Hörschutz
Stimmengewirr und Aufregung. Das Publikum war eine interessante Mischung. Viele Mittfünfziger in etwas engen schwarzen Hosen, die Hemden extra gekrempelt, damit die Tatoos zu sehen waren. Frauen mit asymetrischen 90er-Frisuren und grellem Neon-Make-up. Sehr wenige Menschen in konzertfeiner Abendgardrobe. Hanseatische Damen in gelben Blüschen, die verschreckt gucken und zugriffen, als an der Garderobe Ohrstöpsel angeboten wurden. Sehen und gesehen werden – vor dem Konzert flanierten die Besucher über die Plaza, bewunderten die Aussicht und immer wieder war zu hören: “Eigentlich dagegen. Zu teuer. Aber wo das Ding jetzt schon mal da ist …”
Wir fanden unsere Plätze eher weit oben, eher hinter der Bühne. Bestaunten die Architektur und den Aufbau der Instrumente: eine Industrie-Fräse, Bleche, Plastikrohre. Gruß von der Großbaustelle, die hier doch so lange war. Hieß nicht auch mal eine Platte der Bauten “Strategien gegen Architektur”?
“Unser Ensemble spielt heute auf historischen Instrumenten”, begrüßte Frontmann Bargeld das Publikum. Und dann? Dann spielten sie die “Greatest Hits” der letzten 35 Jahre. Immer mit einer kleinen und manchmal einer großen Prise Ironie. Etwa dem Gruß an die Hausbesetzerszene der Hafenstraße. Auch die gibt es in der Form schon lange nicht mehr. Angekommen im System, so wie die Band selbst?
Doch gerade das Sich-selbst-nicht-so-ernst-nehmen hatte ich so nicht erwartet. Gefiel mir. Der ganze Abend gefiel mir. Dieser intensive Klang im Konzertsaal. In dem das Rascheln einer Wärmedecke und das Knistern einer Zigarette deutlich zu hören waren. Die Vielfalt der Musik. “Silence is sexy”, eines der Lieder, die mir im Ohr blieben. Ein Konzert voller Gegensätze – mit sehr feinen ruhigen Liedern, getragen von der sonoren Stimme Bargelds. Und von richtig lauten Krachern. Eröffnung mit Wumms. Genial.
Einigen im Publikum fiel es sichtlich schwer, sitzen zu bleiben. Die gediegene Hanseatin in der ersten Reihe zog ein zitronensaures Gesicht und wäre am liebsten geflohen. Das sah man ihr an. Aber sie hatte eben eine der heißbegehrten Karten und wollte sicher ihren Freundinnen vom neuen ersten Haus Hamburgs vorschwärmen. Der schwer tätowierte Typ ein paar Reihen über ihr wippte so heftig im Takt, dass man sah: der hätte gern mitgetanzt.
Ewa und ich waren uns einig: Was für ein Geschenk, dieser Abend. Weil er überraschend kam, hatten wir kaum große Erwartungen. Wir sammelten Eindrücke, Klänge und Stimmen. Bewunderten den Ausblick auf die Elbe und die Waben-Architektur. Und waren froh, dass der Neubau dann doch nicht einstürzte. Elphie, ich wollte dich eigentlich nicht. Aber hey, junges Haus, du hast mich beeindruckt. Und die Stimme von Blixa auch.
Ihr möchtet solchen oder anderen Klängen auch lauschen? Ab dem 15. Februar 2017 gibt es wieder Karten: für das Sommerfestival in der Elphie. Jede Woche steht unter einem bestimmten inhaltlichen Motto: World, Filmmusik, Jazz und Klassik. Mehr Infos unter: elbphilharmonie.de