Am Abend, als die Sonne sich schon auf ihren Weg zum Horizont machte, tanzten sie Tango auf einem Anleger an der Elbe. Sie in einem atemberaubenden rotschwarzen Kleid, er in einem gut sitzenden Anzug. Ein Moment, den man in keinem Roman beschreiben könnte, ohne schweren Kitschverdacht auf sich zu ziehen: die Leidenschaft in den Blicken, die geschmeidige Harmonie der Bewegung, und das alles vor Spätsommerhimmel, Hafenkränen und großen Pötten. Da saß ich also als glücklicher Gast, trank kühlen Weißwein, und dachte mir: So muss es sein, wenn alles stimmt bei einer Hochzeit. Nur, dass eine Kleinigkeit nicht ganz ins traditionelle Romantikmuster passte. Denn die frischgebackenen Eheleute hatten beide ihren fünfzigsten Geburtstag schon hinter sich, und der jüngste Gast auf dem Fest war die Enkelin des Bräutigams. Wie das halt so ist: Wer mit über 40 oder über 50 so richtig gelebt hat, der hat bis dahin einen ganzen Berg Vergangenheit angesammelt. Und für beide war es auch nicht das erste Mal, dass sie zu jemandem „Ja“ sagten. Es ist das zweite Eheglück.
Ein zweites Eheglück ist ein Wagnis, das ahnt jeder, der schon einmal erlebt hat, wie eine lange Liebe zerbricht – mit oder ohne Trauschein. Das weiß auch die unbarmherzige Statistik, die behauptet: Wer’s noch einmal macht, der hat sogar ein zehn Prozent höheres Scheidungsrisiko als Ersttäter. Mag sein. Und es gibt auch diese Menschen, denen man sofort zutraut, alle paar Jahre eine neue Beziehung in den Sand zu setzen – man denke nur aktuell an Gerhard Schröders vierte Scheidung. Und, seufz, Brangelina. Meine persönliche Bilanz ist allerdings eine andere: eine tröstliche, eine, die Mut macht. Denn auch ich kenne mittlerweile die ein oder andere Ü-40-Frau, die sich nochmal getraut hat (und den ein oder anderen Mann), und mein Eindruck ist: Wiederholungs-Brautpaare haben eine verdammt gute Chance, dass diesmal wirklich alles gut wird und bleibt. Weil sie gelernt haben, sowohl zu ihren eigenen Bedürfnissen zu stehen als auch die des Gegenübers zu erkennen. Weil sie wissen, dass man Beziehungen sowohl totschweigen als auch totreden kann, und für sich einen funktionierenden Mittelweg gefunden haben. Und auch weil das Leben nicht mehr ganz so viele Was-wäre-wenn-Optionen bereit hält wie mit 30. Wie beruhigend. Die meisten Endvierziger fragen sich ja nicht mehr ständig, ob sie doch nochmal beruflich ganz umsatteln, für ein Jahr nach Shanghai gehen sollen, ein Haus im Grünen suchen oder eher die Wohnung im Trendviertel behalten sollen. Die Midlife-Crisis haben sie im besten Fall hinter sich, die Kinderfrage hat das Leben so oder so beantwortet, und es laufen einem auch nicht mehr ständig attraktive Männer und Frauen vor der Nase herum, die einen an der einmal getroffenen Entscheidung zweifeln lassen. Außer vielleicht in Hollywood. Wenn sich dann zwei finden, die es noch einmal miteinander probieren wollen, die etwas damit anfangen können, wie der andere lebt, denkt, was er zum Frühstück isst, ob er lieber Tango tanzt, Helene Fischer hört oder zum Symphoniekonzert geht, dann kann das ganz schön gut gehen.
Und weil beim nächsten Mann alles anders wird, sind auch zweite Hochzeiten häufig gelungener als erste. Habe ich mir sagen lassen. Denn allzu oft wird man nicht zu ihnen eingeladen. Wenn es eine Regel gibt für das zweite Ja, dann die: bleibt alles anders. Wer beim ersten Mal ganz traditionell mit Schleier, Brautstraußwurf und Hochzeitstorte geheiratet hat, der wirft zehn, zwanzig Jahre später tiefenentspannt die Konventionen über Bord. Und die Höflichkeitsgästeliste gleich mit. Devise: Jetzt kommen wir – und in unserem fortgeschrittenen Alter lassen wir uns auch nicht mehr von Tante Gaby vorschreiben, was auf die Playlist gehört. Mal ganz davon abgesehen, dass der ganze Junggesellenabschiedshorror sowohl den Frischverliebten als auch ihren Freunden erspart bleibt: Welcher Mann über 40 schleppt schon freiwillig im Superheldenanzug einen Bauchladen mit Kondomen über die Reeperbahn, und welche Frau in unserem Alter zwängt sich in ein kreischpinkes „Team Jessica“-T-Shirt und zieht proseccoselig durch die Straßen? Stattdessen lassen es sich Zweit-Hochzeitspaare gerne nur zu zweit allein so richtig gutgehen. Ich kenne eines, das hat bei einem Tauchgang unter Wasser geheiratet. Ein anderes, das es sich in einem romantischen Hotel in Salzburg hat verwöhnen lassen. Und vor ein paar Jahren habe ich mal eine glückliche Neustart-Ehefrau interviewt, die davon schwärmte, wie sie zur Hochzeit in einem Helikopter über den Grand Canyon flog. Im knallroten Hosenanzug statt im blütenweißen Kleid.
Zweites Eheglück? Man kann auch das erste auffrischen!
Ach, ich könnte fast neidisch werden, als langjährige Erst-Ehefrau eines Erst-Ehemannes. Weil’s uns viel zu gut geht, um jemals in den Genuss eines solchen Events zu kommen. Dafür haben wir bald Petersilienhochzeit. Wer also am 28. November noch nichts vorhat: Ihr könnt gern vorbeikommen und unser Gemüsefach kontrollieren! Und dann hole ich meine vergilbten Brautschuhe aus dem Regal und wir tanzen dilettantisch Tango an der Elbe. Das wird ein Fest.