Von Hennen und Eiern

Nicht jammern, einfach (Kinder) machen – so das Fazit eines vielfach per Social Media geteilten Textes. Warum Nina Diercks in vielem recht hat, in manchem aber auch nicht

 „Ja, genau!“ „Endlich sagt es mal eine!“ „Auf diese Worte habe ich gewartet!“ Es war Mitte letzter Woche, da quoll meine Timeline förmlich über vor Lob über einen Blogartikel. Die Autorin: eine sehr sympathische Hamburger Rechtsanwältin und Mutter, rund zehn Jahre jünger als ich, mit der ich vor langer Zeit auch schon mal das ein oder andere Party-Getränk genossen hatte. So sieht man sich wieder.

Auch mir war der Text sympathisch, wenigstens beim ersten Lesen: eine junge, erfolgreiche, dabei aber überhaupt nicht verbissene Frau, die man gern zur Freundin hätte, erklärt, warum sie das Gejammere über den Stress der Elternschaft nicht mehr lesen mag. Warum sie genug hat von diesen Büchern, die „Geht alles gar nicht“ heißen oder „Die Alles-ist-möglich-Lüge“, und von denen es mittlerweile so viele gibt, das man sie fast schon als eigenes Genre betrachten könnte, vielleicht als „Mamagejammer/Papagepöbel.“

Weil die Klagen von denen, die erst was mit Medien gemacht haben und dann Babys, doch eigentlich Luxusprobleme sind: Wie kann es sein, fragt Nina Diercks völlig zurecht, dass Menschen über 30 mit bildungsbürgerlichem Background allen Ernstes glauben, ihr Leben ginge mit Kind genau so weiter wie ohne? Dass Staat und Gesellschaft zuständig sein müssten für die perfekte Vereinbarkeit von Kinderhaben, im Job voran kommen, und immer noch ständig genügend Zeit und Energie für wilden Sex und anregende Weinabende im Freundeskreis? Wie kommt es, dass wir ständig nach Skandinavien schielen, diesem Paradies für emanzipierte Familien mit gerechter Rollenteilung und guter Job-Lebens-Verzahnung, und nicht in andere europäische Länder, die nicht einmal etwas so feines haben wie das Elterngeld Plus? Warum schimpfen wir so unreflektiert über Unternehmen und Politik, die unsere schönen Lebenspläne nicht unterstützen? Nina Diercks ist sauer, und sie sagt es deutlich: Kein Wunder, dass jüngere Männer und Frauen so mit der K-Frage hadern, wenn ihnen neuerdings ständig „schonungslose Wahrheiten“ über das Familienleben hingeklatscht werden. Können die nicht einfach machen, ohne so viel nachzudenken? In einem reichen Land mit immer noch stabilem sozialen Netz nicht einfach erst Kinder bekommen und sich dann arrangieren?

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Das Leben mit Kindern – kein langer, ruhiger Fluss.

 

Ja, da ist was dran. Die Art von Büchern und Artikeln, die Nina Diercks meint, hat oft etwas selbstmitleidiges, und man wird den Verdacht nicht los, dass hier lediglich das Selbstgespräch einer bestimmten sozialen Blase abgebildet wird. So wie vor einigen Jahren, als plötzlich lauter 40jährige berufsjugendliche Journalisten in Buchform beklagten, dass keiner mehr erwachsen werden wolle – einfach, weil sie nicht über ihren eigenen Tellerrand hinausschauten. Im Grunde hätte ich also Nina Diercks Text nehmen können, teilen und dazu schreiben: Genau so geht’s. Denn auch ich habe es nicht anders gemacht: Als ich vor neun Jahren das erste Mal Mutter wurde, waren mein Mann und ich beide Freiberufler, hatten weder Haus noch Zweitwagen noch das Geld für ein Au-Pair-Mädchen, aber trotzdem nie das Gefühl, dass uns etwas fehlte. Und dass Eigenzeit und Geld knapper wurden – das gehörte zu den Dingen am Muttersein, die mich am allerwenigsten überraschten. Ich kann bestätigen: Kinder und Job, das geht sehr wohl – und wir können aus einer ganzen Menge Möglichkeiten unser eigenes Familienmodell maßschneidern, mit dem alle gut leben können. Perfekter Zeitpunkt? Don’t even think about it.

Und trotzdem gibt es etwas an ihrer hemdsärmeligen Ermutigung, das mir nicht gefällt. Es ist ein bisschen so, als würde man einer Freundin mit lang anhaltendem Liebeskummer etwas ungeduldig auf die Schulter hauen: „Jetzt ist aber auch mal gut mit dem Geheule, zieh dir mal was Schickes an und zieh heute abend um die Häuser.“ Möglich, dass der Freundin der freundschaftliche Tritt vors Schienbein hilft, aber auch möglich, dass sie nur tiefer in ihrem Kummer versinkt.

Denn: Menschen sind unterschiedlich, auch in ihren Ängsten. Anders als unsere Mütter mit ihren stärker kanalisierten, vorgeschriebenen Lebensentwürfen leben wir in einer Welt fast unbegrenzter Möglichkeiten – aber gleichzeitig schwindender Sicherheiten. Ein Job, der länger als ein paar Jahre hält? Höchstens noch in den heimlichen Träumen einiger ewiggestriger Gewerkschaftler. Liebe bis nach der Goldenen Hochzeit? Na ja – Fifty-Fifty eben. Unterhaltsgarantie nach der Scheidung? Unemanzipiertes Gefasel von gestern. Es gibt Leute – und dazu zähle ich mich -, die diese neue Welt insgesamt eher als Chance begreifen, die sich mehr vor Stillstand fürchten und vor Selbstverständlichkeiten als vor Durchlässigkeit und Absturzgefahr. Ich werde nie vergessen, wie ich beinahe eine Shitstorm in einem Schwangerschaftsforum auslöste, weil eine Teilnehmerin sich vehement nach Möglichkeiten für Dachgeschossausbau und Veluxfenster erkundigte. Für den Fall, dass sie nach der jetzigen Schwangerschaft noch ein oder zwei weitere Kinder und deshalb auch Kinderzimmer benötigte. Ich dachte: Was will die bloß? Wie kann man sein Leben derart akribisch planen, statt einfach zu nehmen, was kommt? Aber: Ich finde, man sollte akzeptieren, dass nicht jede und jeder gleichermaßen unbeschwert die Ärmel hochkrempelt. Dass es Frauen und Männer gibt, die Planung möchten und brauchen, die leiden, wenn man ihnen die gewohnten Sicherheiten unter dem Hintern wegzieht, und denen da auch nicht die Aussicht auf 14 oder auch 16 Monate Elterngeld die langfristigen Ängste nimmt. Und die haben genau so ein Recht gehört und ernst genommen zu werden wie forschere Zeitgenossen.

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Mutter- und Vatergefühle? Ein ewiges auf und ab – ganz normal

 

Für die Titelgeschichte des ELTERN-Magazins im Februar habe ich eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa gewälzt, in denen es um die Frage geht, ob der Druck auf die heutige Elterngeneration tatsächlich gewachsen ist. Fazit: gemischt. 44 Prozent aller Väter und 39 Prozent aller Mütter wünschen sich mehr direkte finanzielle Unterstützung, gleichzeitig sagen aber auch 25 Prozent: Die Politik hat ohnehin keinen Einfluss auf das Wohlbefinden unserer Familie. Dafür gibt es ein viel drängenderes Problem als fehlende Kita-Plätze und Gleitzeitregelungen: Die Ansprüche an die Elternrolle. Fremde wie eigene. Fast 60 Prozent sagen: Heute werden deutlich höhere Ansprüche an Mütter und Väter gestellt als vor 30 Jahren. Drei Viertel der Mütter und zwei Drittel der Väter sagen: Ja, wir scheitern häufig an den eigenen Ansprüchen. Reicht es da, zu sagen: Hey, macht euch doch einfach keinen Kopf? Ein klassisches Henne-und-Ei-Problem: Gibt es Jammertiraden über den Stress des Elternseins, weil das ein drängendes Problem ist – oder empfinden wir so viel Stress, weil uns dauernd eingeredet wird, wie anstrengend alles ist?

Ich glaube, wir als Gesellschaft brauchen beides. Ermutigung und Anstoß, aber auch Verständnis, einen Teller Hühnersuppe, eine Schulter zum Ausweinen. Kinderhaben ist anstrengend und lohnend zugleich – genau wie ein anspruchsvoller Job, eine lebendige Beziehung oder ein Blog, in dem noch längst nicht genügend Beiträge stehen. Und das, liebe Nina Diercks, gehört für mich zusammen wie Yin und Yang, löscht sich nicht aus, sondern ergänzt sich.

Oder?

 

4 Replies to “Von Hennen und Eiern”

  1. Verena

    Liebe Suse, das klingt sehr entspannt, und dem kann ich mich nur anschließen. Ich glaube, ein Problem ist auch, dass viele von uns kaum Kontakt zu Babys und Kleinkindern haben, wenn sie zum ersten Mal Mutter werden, und deshalb ein rosarotes Bild im Kopf haben, da eher aus der Ramawerbung kommt als aus der Realität. Mir ging es jedenfalls so, auch ich fand das Muttersein lange gewöhnungsbedürftig und habe erst jetzt das Gefühl einer guten Balance in meinem Leben, wo meine Kinder schon etwas älter sind. Danke für den Beitrag! Lieben Gruß, Verena

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  2. Suse

    Es ist doch so, daß man vor dem Eltern werden theoretisch weiß, was auf einen zukommt. Aber eben nur theoretisch. Weil jedes Kind anders ist und jeder diese andauernde Anstrengung auch als unterschiedlich belastend empfindet.
    Es hilft niemandem, wenn von Außen beurteilt wird, ob das Jammern gerechtfertigt ist oder nicht.
    Mir hätte geholfen, mir meine Möglichkeiten aufzuzeigen. Dann wäre ich von Anfang an zufriedener in meiner Rolle als arbeitende Mutter gewesen.
    Nach fast neun Jahren Muttersein habe ich für mich rausgefunden: fast alle ist möglich, wenn ich es wirklich will. Das Paradoxe ist aber, ich möchte Vieles gar nicht mehr. Zufriedenheit kann ich persönlich nur erlangen, wenn es meinen Kindern gutgeht. Und für dieses Gutgehen brauchen sie mich im Moment noch sehr. Wenn das weniger wird, dann findet sich ein Weg meine beruflichen Wünsche wieder mehr zu verwirklichen. Mir hat es geholfen, die Ansprüche an mich und mein Elterndasein zu reduzieren. Und die Ansprüche von Außen zu ignorieren.
    Danke für den Beitrag!
    Grüße
    Suse

    Antwort
  3. Nina Diercks

    Liebe Verena,

    hab dank für die wundervolle Replik, die ich nur zu gern gelesen habe. Und feststelle, dass genau das herausgekommen ist, was ich mir gedacht habe: Wir widersprechen uns gar nicht. Die “Jammer”-Form, die Du beschreibst, um die ging es mir gar nicht. Natürlich muss man sagen können/dürfen/müssen “Awwwww. Das ist ja alles doof und stinkt nach Pippi!!!!”, wenn man Haare raufend zwischen Abgabetermin und sich auf den Boden werfenden Kleinkind steht. Und natürlich muss man sich dann abends bei einem Glas Rotwein bei Freundin/Ehemann/wemauchimmer ausheulen dürfen. Auch ich liebe herrliche Blogposts, die solche Situationen beschreiben und mich daran erinnern, dass ich nicht alleine dastehe. 🙂

    Aber und jetzt kommt das große ABER, das hat meines Erachtens nichts, aber auch eben gar nichts, mit diesem gruseligen Mittelschichts-Ächz-Wir-haben-es-so-schwer-Gejammer zu tun, was sich eben in dieser von mir kritisierten Befindlichkeitsliteratur befindet. Was genau ich da wiederum bejammmer ;-), das habe ich ja in meinem Blogpost beschrieben. Und ich habe da auch deutlich gesagt, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und Politk und Gesellschaft sich oft noch ganz schön zu bewegen haben. (Doch schon wieder ein aber: Wer ist Gesellschaft, wenn nicht wir?)

    Und: Diese besagten Mittelschichts-Jammerer die haben in erster Linie mal schön sich selbst zu bewegen. Nämlich dahin, zu erkennen, dass tatsächlich nicht alles miteinander vereinbar ist, aber dass das schon immer so war und sich auch nicht ändern wird. Kein Grund also traurig zu sein.

    Last but not least: Vielleicht treffen wir uns mal wieder auf ein Kaltgetränk zum Jammern? 🙂

    Ganz liebe Grüße von
    Nina

    Antwort
    • Verena

      Liebe Nina, je kälter das Getränk, desto schöner das Jammern – und ja, auch ich glaube nicht, dass wir meilenweit auseinander liegen, habe sicherlich auch deine Thesen noch ein bisschen zugespitzt, aber die Ergänzung war mir wichtig. Freu mich über die digitale Diskussion und den analogen Wein. Aber dazu mehr auf einem anderen Kanal. Lieben Gruß, Verena

      Antwort

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